Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Zeichen der Menschlichkeit

Im Zeichen der Menschlichkeit

Titel: Im Zeichen der Menschlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Schomann
Vom Netzwerk:
des Glücks« weilen dort jährlich auf Kur; die Zahl der Anfragen ist um ein Vielfaches höher. Als Referenz an die oftmals amerikanischen Stifter tragen die Häuser ungewöhnliche Namen wie »Kinderheim Frohsinn Pittsburgh« oder »Berta und Louis Dreyfus-Heim«. Auch deutsche Spender helfen nach Kräften; einmal trifft eine ganze Herde von Schaukelpferden in einem der Kinderheime ein.
    Im Jahr 1924 unternimmt Adele Schreiber eine längere Vortragstournee durch die Vereinigten Staaten, auf der sie Interviews gibt, Dankesbesuche bei den Stiftern der Kinderheime abstattet und für ein neues, besseres Deutschland einsteht. Doch nach ihrer Rückkehr eröffnet man ihr, »dass die pazifistische Note meiner Vorträge bei einflussreichen Mitgliedern Anstoß erregt habe und dass man befürchte, diese Einstellung könne für die Meinung des Roten Kreuzes gehalten werden«. Ihr Vertrag wird gekündigt, ihre Abteilung kurzerhand aufgelöst. Fortan »verläuft die Kinderhilfe im Sande«. Der Reformversuch bleibt nur ein Intermezzo. »Der Wille einzelner Persönlichkeiten des Deutschen Roten Kreuzes, dieses zu demokratisieren, hat vor der erstarkenden Reaktion nicht standgehalten, besonders nicht unter dem Einfluß der Vaterländischen Frauenvereine.« Ernüchtert setzt Adele Schreiber hinzu, »daß im Roten Kreuz der Begriff der Neutralität sehr oft mit dem der Opportunität verwechselt wird«.
    Vom Tegernsee zum Tigersee
    Nach Kriegsende entsenden etliche Mutterhäuser einzelne Schwestern in Länder mit harter Währung. Was sie von ihrem Verdienst dort erübrigen können, schicken sie nach Hause. Die Münchner Schwesternschaft etwa hätte diese Krisenzeit womöglich nicht überstanden, wenn nicht drei solcher Gastarbeiterinnen sie über Jahre hinweg unterstützt hätten, in amerikanischen Dollar, in britischen Pfund und, im Falle von Antoinette Gilg, in holländischen Gulden. Nur dass sie die nicht im Mutterland verdient, sondern in einer denkbar exotischen Kolonie: in Niederländisch-Indien. Genauer: auf Sumatra.
    Antoinette Gilgs Geschichte beginnt in vertrauter Umgebung, im Rotkreuzkrankenhaus an der Nymphenburger Straße in München. Im Sommer 1919 muss sich der Schriftsteller Ludwig Thoma dort einer Magenoperation unterziehen. Die Schwestern staunen nicht schlecht, als wenige Tage nach dem Eingriff ein Dachauer Förster auf Besuch kommt, den Thoma brieflich gebeten hat, ihm drei Rebhühner zu schießen. Irgendwie bringt er die Schwestern tatsächlich dazu, ihm die Hühner zu braten. Als er nach Hause entlassen wird, engagiert er Antoinette Gilg als Privatpflegerin in seinem Anwesen am Tegernsee. Wenig später aber fällt er dem Krebs zum Opfer, und so kehrt sie zu ihrem gewohnten Dienst zurück. Doch während dieser Wochen im Thoma’ schen Hause hat sie einen Arzt kennengelernt, der ihrem Leben eine Wendung geben wird. Er arbeitet in einem Krankenhaus auf Sumatra. Und er verspricht, sich zu melden.
    Eines Tages erhält sie ein Telegramm mit einer Aufforderung, die sie umgehend in die Tat umsetzt: »Abreise nach Petoemboekan«. Und so bricht Schwester Antoinette mit 46 Jahren zu einem großen Abenteuer auf. Sie lernt Holländisch und Malaiisch, bereitet sich auf Tropenkrankheiten und Schlangengifte vor und tritt schließlich die zweiwöchige Schiffspassage an. Das Krankenhaus gehört zu den großen Tabak- und Gummiplantagen der Kolonialherren. Gilg arbeitet dort mit europäischen Ärzten und einheimischen Helfern zusammen. Sie führt Einstellungsuntersuchungen durch und betreut zwei- bis dreihundert stationäre Patienten, vom Kuli bis zum Dorfvorsteher. Zweimal im Jahr nimmt sie Reihenuntersuchungen an vielen tausend Arbeitern vor. Zu ihrem medizinischen Alltag gehört die Behandlung von Malaria, Ruhr, Wurmkrankheiten, Haut- und Augenleiden. Wobei sie nicht nur gegen diese Plagen selbst ankämpfen muss, sondern auch gegen Aberglauben und Ignoranz. So sind die Einheimischen davon überzeugt, dass Augenkrankheiten durch Waschungen mit Urin geheilt werden können und dass Fliegen den Eiter von Geschwüren abtragen würden.
    Dem setzt Gilg die Errungenschaften der modernen Medizin entgegen; Salvarsan etwa bewährt sich als frühes Antibiotikum. Und sie tritt energisch für Hygiene ein. Unterstützt von den arbeitsfähigen Kranken stellt sie bei einer »Großstöberei das ganze Hospital auf den Kopf«. Wenn ihr Malaiisch einmal zum Schimpfen nicht ausreicht, macht sie sich eben auf Bairisch Luft. »Und siehe da, sie

Weitere Kostenlose Bücher