Im Zeichen der Menschlichkeit
Vertreter des Komitees. Mit den Gefangenen dürfen sie nicht sprechen.
»Inszenierte Idylle«: Im KZ Theresienstadt lässt sich die Delegation des Internationalen Komitees noch 1944 von der Propaganda der SS blenden.
© IKRK
Nur wohlgenährte Insassen haben Ausgang bekommen; in einer ausschließlich für diesen Tag eröffneten Bäckerei geben die Verkäuferinnen das Brot mit weißen Handschuhen aus. »Wir konnten uns davon überzeugen, dass die Bevölkerung nicht an Unterernährung leidet«, heißt es im Bericht des Genfer Delegierten. Während Resi Weglein in ihren Aufzeichnungen wieder und wieder den nagenden Hunger beschreibt, an dem Menschen reihenweise sterben. Die Delegation lässt sich komplett hinters Licht führen. Kaum ist sie zum Tor hinaus, werden die Essensrationen vierzehn Tage lang gekürzt. So dass laut Weglein »allgemein der Ruf ertönte: Nie wieder Kommission!« Das Naziregime aber triumphiert – hat eine der maßgeblichen humanitären Organisationen der Welt ihm doch eine Art Blankoschein ausgestellt.
Noch fataler gerät die zweite Inspektion, die unmittelbar vor Kriegsende im April 1945 stattfindet. Wieder geht ihr eine »Verschönerungsaktion« voraus – und die Deportation von 18000 Menschen in die Vernichtungslager. »Man sah, dass es darauf ankam, möglichst die ganze Prominenz und Intelligenz auszurotten«, erinnert sich Resi Weglein. Im Report der beiden Genfer Delegierten liest sich der Sachverhalt etwas anders: »Vor sechs Monaten wurden 10000 Juden in die Lager des Ostens versetzt, um dort beim Aufbau und der Verwaltung von neuen Lagern tätig zu sein.« Eichmann persönlich hat die Besucher tags zuvor instruiert, »dass die Juden in Theresienstadt viel besser gestellt seien als viele Volksdeutsche«. Dann müssen die Gefangenen erneut eine Schmierentragödie aufführen. Resi Weglein: »Die Kinder hatte man vorher gut dressiert. Sie mußten bei der Besichtigung auf unseren Kommandanten Rahm zugehen und rufen: ›Spiel doch mit uns, Onkel Rahm!‹ Dann bekamen sie Ölsardinen und Schokolade, und hier erschallte der eingetrichterte Ruf: ›Schon wieder Ölsardinen, schon wieder Schokolade!‹«
Auch dass sich im Vorratslager Tausende von Rotkreuzpaketen stapeln, an Menschen adressiert, die nicht mehr existieren, scheint die beiden Delegierten nicht irritiert zu haben. Ihr offizieller Bericht klingt derart begeistert, als hätte Goebbels ihn diktiert. Im Vergleich zu 1944 »sind einige bauliche Veränderungen angebracht worden, so daß das Stadtbild einen noch freundlicheren Eindruck bietet. Es herrscht eine Art Edelkommunismus. In sozialer Hinsicht ist Theresienstadt sicher den meisten europäischen Städten weit voraus.« Abschließend empfehlen sie dem Komitee einen kürzlich hier gedrehten Film: »Es ist eine Art von Dokumentarfilm, natürlich mit leicht propagandistischem Einschlag.« Dieser Streifen gilt heute allgemein als eines der schlimmsten Machwerke der Nazipropaganda. Es ist unbegreiflich, wie jemand noch im April 1945 derart verblendet urteilen konnte – erst recht die angeblich so hochstehenden und wohlinformierten Delegierten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz.
Von 1942 an hat das Genfer Büro des Jüdischen Weltkongresses das Komitee »Dutzende und Dutzende von Malen« um Hilfe gebeten. Sie ist stets mit der Begründung abgeschlagen worden, dass das Mandat des Roten Kreuzes sich nicht auf Zivilinternierte erstrecke und dass ein Eintreten für jüdische Häftlinge »die guten Beziehungen zu den zuständigen Kreisen in Deutschland« gefährden würde und damit auch vorrangige Aufgaben wie die Betreuung der Kriegsgefangenen. Deren Zahl wächst immer weiter an, seit Hitler 1941 binnen eines halben Jahres erst der Sowjetunion und dann den Vereinigten Staaten den Krieg erklärt hat. Parallel dazu werden die Beiträge in den deutschen Rotkreuzmedien schriller und heuchlerischer. So zeigt etwa ein Bericht über »Sowjetsoldaten in deutscher Heilfürsorge«, wie gleich fünf Sanitätsoffiziere einen gefangenen Russen untersuchen. »Dieses Bilddokument beweist der Weltöffentlichkeit, wie sorgsam Deutschland die Genfer Konvention durchführt.« Dabei gelangt die Konvention gegenüber der Sowjetunion gar nicht zur Anwendung, weil beide Regime sich nicht völkerrechtlich binden wollten – ein Grund, warum mehr als die Hälfte der gut fünf Millionen sowjetischer Soldaten in deutschem Gewahrsam ums Leben kommen. Ihre Dezimierung ist von Anfang an Programm. Auch den
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