Im Zeichen der Menschlichkeit
allein ihre langjährige Führungstätigkeit dort bleibt eine ewige Schande und zeigt die ganze Problematik einer Hilfsorganisation, die auf Gedeih und Verderb an staatliche Organe gebunden ist und möglichst hohe Funktionsträger zu rekrutieren sucht. Wo Unmenschlichkeit System ist, kann niemand zugleich der Macht und der Menschlichkeit dienen.
Kein Ort verkörpert Aufstieg und Fall des Deutschen Rotes Kreuzes so eindringlich wie die Heilstätten von Hohenlychen. 1902 gegründet, erlangte das Lungensanatorium in der Uckermark bald einen legendären Ruf als eine Art Zauberberg der Tiefebene. Mit »Heliotherapie« und »klimatischem Reizstoß«, »Bier’scher Stauungsmethode« und »Brettschneider’scher Wechselatmung« rückte man der Tuberkulose erfolgreich zu Leibe. Wann immer Großspenden eingingen, wurde die Anlage erweitert, bis sie schließlich zwanzig Hektar und fünfzig Gebäude umfasste. Halb Waldhäuser und halb Seebädervillen, thronten sie am Hochufer über dem Zenssee. In den zwanziger Jahren leistete man hier Pionierarbeit bei Entziehungskuren für Rauschgiftsüchtige und in der Ausbildung von Blindenführhunden; auch eine Schwesternschule und ein Kinderheim gehörten dazu.
Als die Zahl der Tuberkulosepatienten dann zurückging, spezialisierten sich die Heilstätten in den dreißiger Jahren auf Sport- und Arbeitsverletzungen und bereiteten auch deutsche Athleten auf Olympia vor. Ob Speer, Himmler oder Rosenberg, bei der Politprominenz gehört es seither fast zum guten Ton, sich hier behandeln zu lassen. Auch Hitler und Heß besuchen das Sanatorium und scherzen vor laufenden Kameras mit den Schwestern. Wer es sich leisten kann, kommt vom Berliner Wannsee aus im Wasserflugzeug angerauscht.
Nachdem einige jüdische Ärzte ungeachtet ihrer langjährigen Verdienste entlassen worden sind, machen SA- und SS-Mediziner steile Karrieren; während des Krieges dienen Teile der Anlage dann als Lazarett für die SS und die Wehrmacht. Traurige Berühmtheit erlangt jene Abteilung, die Klinikleiter Karl Gebhardt als eine Art Privatstation für mörderische Menschenversuche betreibt. Sie werden teils in Ravensbrück, teils direkt in Hohenlychen durchgeführt. Leitende Mediziner wie er können hier dank ihrer Doppelfunktion als SS- und DRK-Ärzte nach Belieben schalten und walten. Einige von ihnen sind später in den Nürnberger Ärzteprozessen zum Tode oder zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Andere aber haben unbehelligt in beiden deutschen Staaten weiter praktiziert.
Die vielfältigen Verflechtungen des DRK mit dem nationalsozialistischen Machtapparat sind mittlerweile wissenschaftlich gründlich untersucht. Doch die ganze Perfidie der Verschmelzung von Rotem Kreuz und Totenkopf, von Helfern und Henkern, ist vielleicht bis heute nicht wirklich erfasst worden. Als oberster SS -Arzt ist Grawitz der Chef von Mengele, Clauberg, Heim, Neumann und all der anderen Lagerärzte. Und zugleich ist er geschäftsführender Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. Niemand anderes als er hat Himmler den Einsatz von Gaskammern empfohlen und die Selektionen in den Konzentrationslagern angeordnet. Grawitz ist der eigentliche Schrittmacher der »Medizin ohne Menschlichkeit«, wie Alexander Mitscherlich seine berühmte Dokumentation überschrieb. Da die SS die Erlaubnis hat, für ihre Sanitätseinheiten das Rotkreuzemblem zu führen, nimmt auch niemand Anstoß daran, dass auf jenen berüchtigten Gaswagen, in denen Hunderttausende von Menschen umgebracht werden, ein riesiges rotes Kreuz prangt. Diese Wagen sind entwickelt worden, weil die Massenerschießungen die Hinrichtungskommandos seelisch belasten. Sogar ein Mann wie Erich von dem Bach-Zelewski, der selbst innerhalb der SS als besonders grausam gilt, muss sich nach einem Nervenzusammenbruch im März 1942 in Hohenlychen in Behandlung begeben. Monatelang haben er und seine Schergen in Russland Gräueltaten an der Zivilbevölkerung verübt. Nun leidet er an »Vorstellungen in Zusammenhang mit den von ihm geleiteten Judenerschießungen«. So berichtet es Grawitz, der ihn persönlich behandelt und Himmler alle paar Tage das Bulletin durchgeben muss. Die Therapie schlägt derart gut an, dass der General bald wieder einsatzbereit ist und sich umgehend bei der Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto hervortut. Zur gleichen Zeit verweigert das von Grawitz geführte Deutsche Rote Kreuz kategorisch jede Auskunft über die deportierten Juden. Man wisse nichts und sei auch
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