Im Zeichen der Menschlichkeit
mußten als verkohlte Leichen eingesargt werden.« Ein andermal bergen sie die tote Besatzung eines abgeschossenen Bombers. Am Allerseelentag 1944 erfolgt ein weiterer Luftangriff auf den Bahnhof. Rosen hilft beim Verladen der Toten. Und findet unter ihnen seine Cousine, die dort als Rotkreuzhelferin im Einsatz war – an ihrem 21. Geburtstag. Im allgemeinen Chaos übernehmen die Kollegen alle nur denkbaren Arbeiten. Sie verscharren Dutzende toter Kühe und Pferde, die in den Höfen verbrannt oder auf den Straße verendet sind. Der ganze Ort bietet einen apokalyptischen Anblick: Das Schloss und die Kirchen sind zerstört, die Brücken gesprengt, das Tal von der abziehenden Wehrmacht vermint. Im Februar 1945 jagen Bausoldaten noch ganze Straßenzüge in die Luft, um den Amerikanern den Weg zu versperren, die dann doch aus einer anderen Richtung einrücken und dem Roten Kreuz, so Rosen, »vom ersten Tage an fast wohlwollend gegenüberstehen«. Wieder bekommen die Helfer alle möglichen Aufgaben zugewiesen. Unter anderem sollen sie die Leichen der Bomberbesatzung exhumieren und auf einen belgischen Soldatenfriedhof umbetten, »da deutsche Erde für sie unwürdig sei«.
Nach einem Fliegerangriff werden Verletzte mit einem Lastwagen abtransportiert. Stahlhelm und Feldflasche gehören zur Standardausrüstung der Sanitäter.
© K. Friedrich / DRK
Evakuierung der Städtischen Krankenanstalten in Wuppertal zu Beginn der Bomberoffensive im Juni 1943.
© W. Heudtlass / DRK
Anderswo dauert der Krieg noch an. Die Bewohner der Ostfriesischen Inseln etwa müssen bis zum Schluss die alliierten Bombenangriffe mitverfolgen, fliegen die Geschwader doch über sie hinweg nach Norddeutschland ein. Allein Bremen hat 167 Luftangriffe erlebt. Die Inseln selbst sind dagegen kaum betroffen gewesen. Der 25. April 1945 fängt als friedlicher Frühlingstag an. Wer Zeit hat, werkelt im Garten oder wirft die Angel aus. Am Nachmittag ortet das Radar einen Bomberverband über der Nordsee. Er scheint wie üblich eine der großen Hafenstädte anzusteuern. Doch dann hält er direkt auf Wangerooge zu. Binnen einer Viertelstunde fallen mehr als sechstausend Bomben auf das schmale Eiland. Das Dorf versinkt in Schutt und Asche, Hunderte von Menschen werden verschüttet, Bunker und Batterien zerstört. Schafe, Hasen und Hunde flüchten panisch hinaus ins Watt. Die Menschen tun es ihnen gleich, es ist die einzige Zone, die nicht angegriffen wird. Bald ist die gesamte Insel mit Bombentrichtern übersät. »Der Keller schwankte wie ein Ackerwagen«, berichtet eine Überlebende. Als die Piloten schließlich abdrehen, sind fast dreihundert Tote zu beklagen. Mehr als ein Drittel davon Zwangsarbeiter aus Holland, Polen und Frankreich, die Bunker und Flakstellungen für den »Endkampf« ausbauen sollten.
Im Lazarett zwängen die Sanitäter die Tragbahren zwischen die Betten, selbst die Splitterschutzgräben müssen als Notlager für Verwundete dienen. Telefone, Strom- und Wasserversorgung funktionieren nicht mehr. Ärzte und Schwestern arbeiten bis zur Erschöpfung, in einem eigentümlichen Zustand zwischen Schock und gesteigerter Bewusstheit. »Es war ein heiliger Eifer in allen«, erinnert sich der Kaplan, der den Sterbenden die Letzte Ölung spendet, während im Hintergrund schon die Totenträger bereitstehen. In Erwartung eines weiteren Angriffs hat man die Lebenden in den Keller gebracht, die Toten dagegen oben in der Halle aufgebahrt. »Eingehüllt in Decken lagen sie dort, stumm, den Namenszettel auf der Brust, als wenn sie wie Kinder in ein anderes Land geschickt würden, dessen Sprache sie nicht verstehen.« Als Rotkreuz-Zugführerin Frieda Jürgens spätnachts den Operationsbunker verlässt, erlebt sie zwischen den Trümmern im Mondschein eine gespenstische Szene: »Draußen sah ich ganz allein ein Mädchen stehen, es war Hanna Caspers. Ich ging hin und sprach sie an. Da sagte sie leise: ›Bei uns sind alle tot.‹«
Am nächsten Abend sollen die Verwundeten aufs Festland gebracht werden. Aus Dachsparren und Wolldecken basteln die Helfer hundert Tragen; minder schwer Verletzte müssen selbst gehen. Frieda Jürgens und ihre Tochter Ursula, ebenfalls Rotkreuzhelferin, begleiten den kilometerlangen Zug zum Schiffsanleger. Eine Prozession der Geschlagenen. Auf halber Strecke rast plötzlich ein britischer Tiefflieger heran. Die Helfer legen die Bahren ab und werfen sich auf den Boden; die Salzwiesen bieten keinerlei Deckung. Andere schwenken panisch
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