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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne
Autoren: Federica de Cesco
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Sand. Sie standen im Abstand von drei Schritten nebeneinander. Die Bronzespiegel hielten sie dem Boden zugewandt. Zu beiden Seiten bildeten die Krieger einen undurchdringlichen Gürtel und hinter ihnen rückten bewaffnete Männer und Frauen schweigend immer dichter zusammen.
    Die Königin stand neben Oshiba, auf ihr Schwert gestützt, die gespreizten Füße fest in den Sand gestemmt. Hoheitsvoll hob sich ihre Gestalt vor dem Blau des Himmels ab. Ihr Antlitz war hart und völlig regungslos; nur ihre Wimpern zuckten, als ich ihr in stummer Herausforderung aus den Reihen der Krieger entgegentrat. Ich hatte meine Rüstung über das weiße Gewand der Priesterinnen schnüren lassen. Die Pfeile, wieder zwölf an der Zahl, steckten griffbereit im Köcher. Die pechschwarzen Augen meiner Mutter funkelten mich an. Trotzig hielt ich ihrem Blick stand. Sie war es, die als Erste zum Zeichen ihrer Zustimmung die Lider senkte. Es war, als ob eine geheimnisvolle Schwingung ihrer Seele die meine berührte. Sie, die mich hatte verschonen wollen, gestand mir das Recht zu, über mein Leben zu verfügen.
    Kein Windhauch regte sich. Die glühende Sonne nahm der Erde alle Schatten und Farben. Der Himmel drückte auf das stille, nach warmen Algen duftende Meer. Unmerklich verstrich die Zeit. Ruhelos durchforschten aller Augen die Umrisse der Inseln, die gezackten Linien der Riffe, die dunklen Flecken der Wälder. Niemand rührte sich, bis mit einem Mal aus weiter Ferne, dort wo Himmel und Meer sich zu berühren schienen, das unheimliche, ohrenbetäubende Kriegsgeschrei laut wurde. Die Weite des Ozeans, die Endlosigkeit des Strandes gaben diesem Geschrei eine Macht, die selbst die Mutigsten erbleichen ließ. Es war, als ob entfesselte Dämonen mit einem wirren, schrecklichen Missklang das Ende aller Zeiten ankündigten. Und im selben Augenblick stürzten hinter jeder Klippe, jedem Baum, jedem Strauch Hunderte von bemalten Gestalten hervor. Ein Schaudern lief durch die Menge; mit starren Gesichtern umklammerten die Krieger ihre Waffen. Den Schuppen einer Riesenschildkröte ähnlich, schienen sich ihre Schilde ineinander zu verzahnen. Doch plötzlich zögerten die Angreifer. Sie hatten die Priesterinnen erblickt und ahnten eine Kriegslist. Da aber tauchte ihr Anführer aus dem Schatten der Klippen auf. Mühelos stieg er über spitzes Gestein, sprang geschmeidig von Riff zu Riff; kaum schien er die glitschigen, mit Muscheln verkrusteten Felsen zu berühren. Das Schwert mit den sieben Klingen funkelte in seiner Hand, als er sich mit weit ausholenden, herausfordernden Schritten dem Strand näherte.
    Ich sah, wie meine Mutter die Lippen aufeinanderpresste. Ihr Schwert beschrieb surrend einen silbrigen Bogen. In einer einzigen Bewegung hoben die Priesterinnen die Spiegel und hielten sie der Sonne entgegen. Wie eine auflodernde Flamme breitete sich ein blendender Feuernebel über die ganze Länge des Strandes. Alles funkelte, glänzte, blitzte. Der Glanz des Sonnenfeuers hüllte das Heer ein, schien es aufzulösen in der vibrierenden Luft, während die geblendeten Feinde zurücktaumelten, wie Betrunkene stolperten. Einige warfen ihre Speere in den Sand, bargen jammernd den Kopf in den Armen. Da löste sich ihr Anführer aus dem lärmenden Gedränge. Am Saum der Wellen bohrte er mit gewaltigem Schwung sein Schwert in den Boden. Das klare Wasser spiegelte die Klingen, die wie ein stählernes Gewächs aus dem feuchten Sand ragten.
    Die Sperbermenschen verstummten, als der Mann einen Befehl rief. Ein mit Pfeil und Bogen bewaffneter, gelb bemalter Krieger lief durch das aufspritzende Wasser auf den Anführer zu. Dieser riss ihm die Waffe aus der Hand. Er legte einen Pfeil an die Sehne, spannte den Bogen in Augenhöhe und schoss. Mitten in die Brust getroffen, taumelte Oshiba, die Große Ahnin, und stürzte in den Sand …
    Ein heiserer Seufzer stieg aus der Menge. Doch keine der Priesterinnen rührte sich. Immer noch bebten und funkelten die bronzenen Spiegel. Doch der Bann war gebrochen. Die Angreifer hatten ihr Zögern überwunden und stürmten vorwärts. Ihr Triumphgeschrei mischte sich in das klatschende Surren der Bogensehnen. Eine Wolke von Pfeilen schwirrte nun den Priesterinnen entgegen. Dort, wo eine Frau hinsank, ging eine Sonne unter, öffnete sich ein Loch im glühenden Flammengürtel.
    In fassungsloser Erstarrung
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