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Im Zeichen der Roten Sonne

Im Zeichen der Roten Sonne

Titel: Im Zeichen der Roten Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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senkrechte, prasselnde schwarzgraue Regenwand senkte sich auf die Landschaft. Schlamm quoll von den Hügeln, rann in rötlichen Bächen die Straßen hinab, die Flüsse schwollen tosend an. Die ganze Welt schien von zuckenden Blitzen angefüllt, die auf dem Ozean und den Bergen weiß glühende Spuren hinterließen. Bei jedem Donnerschlag fuhr ich zusammen, als könnte der Lärm allein mich vernichten.
    Schwindel erfasste mich. Alles verschwamm vor meinen Augen. Ich trieb in dunklem Nebel dahin. Mir war, als befände ich mich - nein, ich befand mich! - auf dem Schiff. Ich vernahm das Flattern der Segel, das Knirschen des Kiels, das Ächzen des Takelwerkes. Die Wogen erhoben sich zu riesigen Wassermassen, der Sturm heulte und pfiff, die Wellen überschlugen sich. Auf der Oberfläche des Meeres, von brodelnden Schaumkronen durchzogen, streckten die Klippen ihre schwarz glitzernden Krallen aus. Der Mast zitterte, der Bug schwankte. Da! Ein Strudel erfasste das Schiff! Mit ohrenbetäubendem Krachen und Splittern schlug das Schiff gegen die Klippen, wurde zurückgeschleudert, legte sich schräg und zerbarst. Der Himmel drehte sich wie eine grün schillernde Kugel, schneller, immer schneller. Schwarze Wogen schlugen über mir zusammen. Ich versank in eiskalter Finsternis.
    Am Abend legte sich der Orkan. Das Rauschen der See ließ nach. Die Wellen schwemmten die ersten Überreste an die Küste: Planken, zerrissene Taue, zerbrochene Fässer. Ich schickte Miwa zum Hafen, um Auskünfte einzuholen. Starr, mit trockenen Augen, wartete ich. Miwa kehrte bei Nachteinbruch zurück. Wortlos kniete sie vor mir nieder und hielt mir die offene Hand entgegen. Wie blutrote Wunden auf der hellen Haut glänzten die »Tama«-Steine des Armbandes, das ich Suki gegeben hatte. Das Leder war unbeschädigt. Später erfuhr ich, dass ein Fischer es in der Hand eines bis zur Unkenntlichkeit entstellten Ertrunkenen gefunden hatte, der auf einem Riff angespült worden war. Der Tote umklammerte den Talisman so fest, dass der Fischer die steifen Finger nacheinander brechen musste, um ihn an sich zu nehmen.
    Miwa stellte keine Fragen. Doch in ihrem mitfühlenden Blick las ich, dass sie alles wusste. Sie ließ mich allein. In eisiger Ruhe betrachtete ich die Steine in meiner Hand, bevor ich das vom Salz aufgeweichte, klebrige Armband wieder um mein eigenes Handgelenk schlang.
    Der Wind trug das helle Läuten der Tempelglocken in mein Gemach. Die Fackel rauchte stark, denn durch die Öffnungen zwischen den Schiebewänden drang die Feuchtigkeit. Als Miwa etwas später ein Becken mit Holzkohle brachte, war ich schon fort, und sie fand den Raum leer.

    Die Schilfrohre standen bewegungslos im Nebel. Der Dunst, der aus den Reisfeldern stieg, vermischte sich mit den Wolken, die sich vom Himmel herabsenkten. Es roch nach Moor, faulendem Holz, verschimmeltem Tang. Hi-Uma bewegte sich in ruhigem, gleichmäßigem Schritt durch die knisternden Halme. Die nasse Erde gab unter den Hufen mit saugendem Geräusch nach. Gefühllos und ohne Willen ließ ich mich tragen. Ich wollte allein sein, niemanden sehen, mit niemandem sprechen! All die unsichtbaren Fäden, die mich mit anderen Menschen verbanden, waren mit einem Mal zerrissen. Meine Gedanken verwirrten sich. Mir war, als sei ein Teil meiner selbst von mir abgelöst und schwebe hinweg, in unerreichbare Ferne.
    War es Zufall oder Instinkt, der mich zum Eichenwald führte? Die schweren, tropfenden Zweige streiften mir Gesicht und Schultern. Trotz der Dunkelheit fand ich die Stelle, wo Suki und ich die Nacht verbracht hatten. Ich ließ Hi-Uma anhalten und glitt von seinem Rücken. Im dichten Unterholz war der Boden nass, aber nicht sumpfig. In meinen Umhang gehüllt, kauerte ich mich nieder und stützte den Kopf auf die Knie. Hi-Uma graste friedlich. Seine Umrisse schienen nicht greifbarer als der Nebel, doch allein seine Gegenwart war Trost. Ich schloss die Augen, versuchte, mir vorzustellen, dass Suki neben mir saß. Ich streckte die Hand aus, rief leise seinen Namen. Der Klang meiner Stimme ließ mich aufschrecken. Ich wiederholte: »Suki!« Keine Antwort.
    Und mit einem Mal durchzuckte mich der Schmerz wie eine scharfe Klinge, Fragen bestürmten mich: Was habe ich getan? Habe ich einen Fehler gemacht? Und in mir antwortete eine unerbittliche Stimme: Du hast die Vorzeichen missachtet, die Warnungen übersehen,

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