Im Zeichen der Roten Sonne
gewaltig und mitreiÃend, dass mir der Atem stockte. Doch mir blieb keine Zeit, Furcht zu empfinden. Wie beflügelt von übernatürlichen Kräften, schnellte das Pferd empor. Ich sah die Strömung wie ein Silberband unter den Hufen fortgleiten. Ein harter Aufprall: Der Hengst hatte wieder Boden gefasst. Er erklomm die Böschung, stürmte in langen, weichen Sätzen über die Ebene. Die Erde dröhnte unter den trommelnden Hufen. Auf den wogenden Schilfrohren flimmerte das Mondlicht.
Bald näherten wir uns dem Eichenwald, in dem meine Mutter einst dem Menschenhirsch begegnet war. Im dunklen Unterholz lieà Suki das Pferd langsamer gehen. Eine Weile ritten wir eng umschlungen weiter. Dann hielt er das Tier an. Er half mir absteigen und breitete seinen Mantel auf dem Moos aus. Schweigend sanken wir nieder und hielten uns in den Armen. Das, was wir in unserem Innersten fühlten, in dem verborgensten Winkel unseres Herzens, machte jedes Wort überflüssig und sinnlos. Wir sprachen nur durch unsere Liebkosungen, während der Wald um uns herum seufzte und flüsterte, angefüllt von den Geistern der Nacht. Später bedeckten Wolken die Mondsichel. Ein kurzer Regenschauer prasselte auf die Blätter. Der Boden wurde feucht. Wir wickelten uns enger in den Mantel. Suki schmiegte sein Gesicht an das meine, um mich mit seinem Atem zu wärmen. Leise fragte ich: »Wirst du zurückkommen?«
Er zögerte und antwortete traurig: »Wenn der Fürst und mein Vater es mir befehlen â¦Â« Seine Stimme war so nahe, dass sie sich mit dem Rauschen meines Blutes vermischte. Ich wollte nicht denken. Flackernd öffneten und schlossen sich unsere Augen. Wir hielten mit unserer Verzweiflung die Zeit auf, die kommen musste. Dann lieà der Regen nach und über den dampfenden Boden glitten Nebelschwaden. Trotz der Nähe unserer Körper wurde mir plötzlich kalt. Ich warf meine nassen Haare zurück und richtete mich auf. Als ich sinnend Sukis Gesicht streichelte, nahm er meine Hand, öffnete sie wie einen Blütenkelch, küsste einzeln meine Finger und dann die heiÃe Innenfläche. Ich starrte ihn an, versunken in der Wahrnehmung seiner Gegenwart. Ich hörte seine gepressten Atemzüge, das Klopfen seines Pulses; es klang, als wäre es mein eigener.
»Woran denkst du?«, fragte er zärtlich.
Ich hob beide Hände und legte sie ihm auf die Schultern. Ich hatte jetzt eine Entscheidung zu treffen. Eine klare, ruhige Gewissheit erfüllte mein Herz. »Eines Tages«, sagte ich halblaut, »werde ich Königin sein.«
Er senkte die Stirn zum Zeichen, dass er es wusste. Ich sah, wie sein Ausdruck sich verdüsterte. Der Druck meiner Hände auf seinen Schultern wurde fester: »Hör zu! Ich fordere ein Versprechen von dir.«
Seine Züge verkrampften sich.
»Was verlangst du? Ich werde gehorchen.«
»Versprich mir, mich niemals zu vergessen und kein anderes Mädchen zur Frau zu nehmen. Zu der Zeit, da ich Königin werde, sende ich ein Schiff aus, um dich zu holen. Du sollst als mein Gemahl an meiner Seite regieren.«
Er löste sich sanft von mir und schaute mir in die Augen. Zitternd hielt ich seinem klaren, forschenden Blick stand. Ich sah, wie sich seine Züge entspannten. Ein ungläubiges, fast kindliches Strahlen verbreitete sich über sein Gesicht. Er zog mich an sich, presste mich gegen seine Brust. Stumm barg ich das Gesicht an seiner Schulter. Und in mir waren zugleich solch brennende SüÃe und ein so stechender Schmerz, dass ich kaum das Flüstern seiner dunklen, verhaltenen Stimme vernahm: »Ich werde auf dich warten. Und wenn es sein muss, mein Leben lang. Das schwöre ich dir, Toyo-Hirume-no-Miko, bei allen Mächten des Himmels!«
Am letzten Tage ihres Aufenthaltes bereiteten sich die Tungusen auf die Heimreise vor. Lebensmittel und Trinkwasser wurden auf das Schiff gebracht. Feierlich überreichte meine Mutter dem Botschafter die für den Fürsten Iri bestimmten Geschenke: Sesamkörner, Schwämme, Leinenstoffe, die von den Priesterinnen gewebt wurden, Bergkristalle, Korallenschmuck und zwei schwarze Perlen von unschätzbarem Wert.
Danach, den Riten getreu, beschwor meine Mutter im Heiligtum den Schutz des »Kami«, den Geist des GroÃen Ozeans, auf das Schiff herab. Ich sang an ihrer Seite die vorgeschriebenen Gebete. Ich trug das Gewand der Priesterinnen. Mein Gesicht war
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