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Im Zeichen der Sechs

Im Zeichen der Sechs

Titel: Im Zeichen der Sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Frost
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Und wenn man Edisons beweglichen Bildern glauben konnte, dann hatte Alexander Sparks den Kampf am Wasserfall auch irgendwie überlebt. Zwei zerrissene Seelen, verdammt und unrettbar; Blutsbande reichen tief. Das hier war seine Sache nicht: es wäre ein leichtes, davonzugehen und die beiden in ihrer ganz persönlichen Hölle schmoren zu lassen.
    Aber eine tiefer gründende Verantwortung erwachte in ihm; wenn nur einer der beiden eine Gefahr für andere darstellte, für den gewöhnlichen Anstand, dann überwog seine Verpflichtung, den einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen, jegliche Verletzung seines eigenen Stolzes; das wußte er. Er besaß Reserven an Vertrauen und Kraft, von denen sie nichts wußten, und bis zum Beweis des Gegenteils waren sie für ihn auch weiterhin das Licht in der Dunkelheit, die Jack Sparks erfüllte. Er war bereit, diese Reserven jetzt aufzuwenden, und wenn diese Dunkelheit sich erhellen ließe, wäre Jack vielleicht doch noch zu retten. Er brauchte noch mehr Informationen.
    »Offensichtlich haben Sie beide den Wasserfall überlebt«, stellte er sachlich fest, ohne ihm Gelegenheit zur Geringschätzung zu geben. »Warum fangen Sie nicht dort an?«
    Jack lächelte, als schwelge er in einer lieben Erinnerung. »Und was für ein Sturz das war – endlos, wie ein Flug, oder doch dicht davor. Der Traum vom Fliegen. Wir hielten einander umklammert, und die Felsen pfiffen vorbei, als wir fielen. Reiner Haß erfüllte mein Herz; das Verlangen, ihn zu töten, war stärker als jedes andere Gefühl, das ich je erlebt hatte.
    Ich ließ ihn nicht los, bis wir im Fluß aufschlugen, nach zweihundert Fuß – so tief waren wir zusammen gefallen. Der Tod schien uns sicher, aber im Laufe der Jahrtausende hat der Wasserfall an seinem Fuße ein natürliches Becken ins Flußbett gefressen. Ich tauchte in die Tiefe hinab; der Aufprall nahm mir die Besinnung. Ich fühlte, wie mich eine schnelle Strömung dicht über dem Grund erfaßte, und gleich trieb ich davon wie ein Blatt, das zum Meer gespült wird.«
    »Und Ihr Bruder?«
    »Ich habe ihn nie wiedergesehen. Als ich zu mir kam, klemmte ich in einem Felsenbett; schwarze Nacht ringsumher. Wer weiß, wieviel Zeit vergangen war? Ein Tag mochte verstrichen sein, vielleicht auch zwei. Meine Augen konnten sich nur mühsam anpassen. Felswände um mich herum und über mir; kein Himmel. Ich war in einer Grotte, die von diesem unterirdischen Wasserlauf gespeist wurde; die Berge waren wie ein Bienenstock durchsetzt von solchen Aushöhlungen, wie ich herausfand. Endlos lange Zeit lag ich auf den Felsen, bewegungsunfähig, in einem Dämmerzustand.
    Ein stumpfes Gefühl kroch über mich hin; mein ganzer
    Körper war braun und blau zerschlagen, aber ich hatte nirgends Schmerzen, die der Rede wert gewesen wären. Gleich neben mir gab es so viel Wasser zu trinken, wie ich brauchte. Ich kroch und ging dann umher, stets in den Grenzen meines Gefängnisses, eines Raumes, vielleicht vier Schritt breit und acht Schritt lang; ich konnte kaum stehen, allenfalls in der Mitte. Meine Welt war auf diese enge Kammer geschrumpft. Tröstlich, eigentlich. Kein großer Unterschied zwischen Mutterschoß und Grab.
    In einem Augenblick also, da die Panik mich hätte erfassen müssen, war mir zunehmend friedlich zumute. Wenn man in der Dunkelheit lebt – darin schläft, sich bewegt, darin aufwacht –, dann kommt man seiner eigenen wahren Natur sehr nahe. Keinerlei Ablenkung durch das Gesicht im Spiegel, durch schmutzige Fingernägel, durch den eigenen Handrücken. Allein mit dem Ich, was immer das sein mag. Diese beherrschende innere Stimme: Wer bin ich? Was bin ich? Die ersten paar Tage meiner Reise begannen mit diesen Fragen. Am Ende war ich so weit, alles in Frage zu stellen. Alle fundamentalen Annahmen verlieren ihre Macht, bis man erkennt, daß alles, was man hat, alles, was man ist, im Kopf ist.
    Ich wäre dort geblieben, aber ich hatte nichts zu essen, und als ich meine Höhle erforschte, stellte ich fest, daß es keinen anderen Weg hinaus gab: Ich mußte zurück in den Fluß. Ich wartete, sammelte meine Kräfte und stürzte mich dann hinein. Die Strömungen in diesen unterirdischen Kanälen waren leichter zu bewältigen, und ich konnte ein Stück weit in verschiedene Richtungen schwimmen, aber in der pechschwarzen Dunkelheit, und ohne eine Stelle zu kennen, an der ich an die Oberfläche kommen könnte, mußte ich immer wieder in meine Höhle zurückkehren. Ich habe keine Ahnung, wie viele

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