Im Zeichen der Wikinger
Darf ich Ihnen einen Kaffee oder einen Tee bringen lassen?«
»Ein Kaffee wäre bestens.«
Hereoux gab die Anweisungen per Sprechanlage durch und ließ sich dann gegenüber von Perlmutter nieder. »Nun denn, St. Julien. Darf ich Sie mit Vornamen ansprechen?«
»Aber bitte doch. Zwar sind wir uns erst vor ein paar Minuten zum ersten Mal persönlich begegnet, aber wir kennen einander bereits seit langem.«
»Sagen Sie mir, womit ich Ihnen bei Ihren Nachforschungen behilflich sein kann.«
Perlmutter ließ den Stock kreisen, den er vor seinen gespreizten Knien auf den Boden gestützt hatte. »Ich würde mich gern in Vernes Recherchematerial über Kapitän Nemo und die
Nautilus
vertiefen.«
»Sie meinen natürlich
Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer
.«
»Nein, Kapitän Nemo und sein Unterseeboot.«
»Nemo und sein Unterseeboot waren Vernes größte Erfindungen.«
»Angenommen, es waren keine bloßen Erfindungen?«
Hereoux schaute ihn an. »Ich fürchte, das verstehe ich nicht.«
»Ein Freund von mir ist der Meinung, dass Nemo nicht nur Vernes Fantasie entsprang. Er vermutet, dass er auf ein lebendes Vorbild zurückgriff.«
Hereoux’ Miene blieb unverändert, doch Perlmutter glaubte, ein leichtes Zucken um die blauen Augen zu bemerken. »Ich fürchte, was diese Vermutung angeht, kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.«
»Können Sie nicht, oder wollen Sie nicht?«, fragte Perlmutter. Diese Frage grenzte an eine Beleidigung, doch er brachte sie von einem gönnerhaften Lächeln begleitet vor.
Hereoux wirkte einen Moment lang ungehalten. »Sie sind nicht der Einzige, der sich mit einem derart abwegigen Vorschlag an uns gewandt hat.«
»Abwegig? Ja, aber nichtsdestotrotz spannend.«
»Womit kann ich Ihnen behilflich sein, mein alter Freund?«
»Gestatten Sie mir, in diesem Archiv Nachforschungen anzustellen.«
Hereoux lehnte sich zurück, als hätte er vier Asse in die Hand bekommen. »Bitte sehr, fühlen Sie sich in dieser Bibliothek wie zu Hause.«
»Noch eine Bitte. Darf mein Chauffeur mir zur Hand gehen? Ich kann keine Leiter mehr hinaufsteigen, um an die Bücher in den oberen Regalen zu gelangen.«
»Natürlich. Ich bin davon überzeugt, dass er zuverlässig ist. Aber Sie müssen die Verantwortung für jegliche Unannehmlichkeiten übernehmen.«
Eine schöne Ausdrucksweise für Beschädigung oder Diebstahl von Büchern und Manuskripten, dachte Perlmutter. »Das versteht sich von selbst, Paul. Ich verspreche Ihnen, dass wir sehr vorsichtig sein werden.«
»Dann überlasse ich Sie Ihrer Arbeit. Falls Sie irgendwelche Fragen haben, erreichen Sie mich oben in meinem Büro.«
»Eine Frage habe ich.«
»Ja?«
»Wer hat die Bücher in die Regale eingeordnet?«
Hereoux lächelte. »Oh, Monsieur Verne. Sämtliche Bücher, Manuskripte und Ordner stehen genau so, wie er sie bei seinem Tod hinterließ. Natürlich kommen viele Menschen zu Forschungszwecken hierher, so wie Sie, aber ich weise jeden ausdrücklich darauf hin, dass sämtliche Materialien genau dorthin zurückgestellt werden müssen, wo man sie entnommen hat.«
»Höchst interessant«, sagte Perlmutter. »Seit sechsundneunzig Jahren steht alles an Ort und Stelle. Das gilt es zu bedenken.«
Sobald Hereoux die Tür geschlossen hatte, wandte sich Mulholland mit nachdenklich forschendem Blick an Perlmutter. »Haben Sie seine Reaktion bemerkt, als Sie anklingen ließen, dass es Nemo und die
Nautilus
tatsächlich gegeben haben könnte?«
»Ja, Doktor Hereoux wirkte etwas aus der Fassung gebracht.
Ich frage mich nur, was er verbirgt, wenn überhaupt.«
Hugo Mulholland, Perlmutters Chauffeur, war ein mürrischer Bursche mit traurigen Augen. »Haben Sie sich schon überlegt, wo Sie anfangen wollen?«, fragte er. »Sie sitzen schon seit einer Stunde da und starren die Bücher an, ohne eines aus dem Regal zu ziehen.«
»Geduld, Hugo«, erwiderte Perlmutter leise. »Das, wonach wir suchen, befindet sich an einer nicht auf Anhieb ins Auge fallenden Stelle, sonst hätten es andere Rechercheure längst entdeckt.«
»Nach dem zu schließen, was ich über Verne gelesen habe, muss er ein ziemlich schwieriger Mann gewesen sein.«
»Nicht schwierig, und auch nicht unbedingt genial. Aber er hatte eine großartige Fantasie. Er war der Begründer des Science-Fiction-Romans, müssen Sie wissen. Er hat ihn erfunden.«
»Was ist mit H.G. Wells?«
»Er hat
Die Zeitmaschine
erst dreißig Jahre nach Vernes
Fünf Wochen im Ballon
geschrieben.« Perlmutter rutschte ein
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