Im Zeichen der Wikinger
das Kreuzfahrtschiff rund vierhundert Meter achteraus lag. Dann setzte er die Feststellbremse, woraufhin sich die Trosse straffte, als die
Audacious
langsam weiterfuhr.
Alle Mann an Bord des Schleppers hielten den Atem an, blickten zur
Emerald Dolphin
und warteten gespannt ab, wie sie reagierte. Langsam, Meter um Meter wie ein Elefant, der sich von einer Maus führen lässt, setzte sie sich in Bewegung, bis der Bug durch die Wellen schnitt. Niemand rührte sich von der Stelle, denn noch traute man dem Frieden nicht, doch der riesige Dampfer schob sich schnurgerade ins aufgewühlte Kielwasser des Schleppers. Als die Besatzung sah, dass das immer noch brennende Wrack in Fahrt kam, ohne auszubrechen, ließ die Anspannung an Bord des Schleppers allmählich nach.
Zehn Stunden später schleppten die schweren Dieselmaschinen der
Audacious
die riesige Hülle mit beachtlichen zwei Knoten durch den Südpazifik. Das Feuer war mittlerweile weitgehend erloschen. Nur ein paar vereinzelte Flammen züngelten noch inmitten der verzogenen und eingesackten Aufbauten. Eine dichte Wolkendecke verhüllte den Mond, und die Nacht war so schwarz, dass man Himmel und Meer kaum voneinander unterscheiden konnte.
Der starke Suchscheinwerfer des Schleppers war auf die
Emerald Dolphin
gerichtet und strahlte ihren Bug und die ausgeglühten Aufbauten an. Die Besatzung schob abwechselnd Wache an der Winde und behielt den Havaristen im Auge.
Nach Mitternacht war der Koch an der Reihe. Er ließ sich in einem Klappliegestuhl nieder, den er für gewöhnlich an Deck trug, um die Sonne zu genießen, wenn er nicht in der Kombüse beschäftigt war. Es war zu heiß und schwül für einen Kaffee, deshalb hatte er etliche Dosen Diet Pepsi dabei, die in einem Eimer voller Eis lagen. Er nahm eine in die Hand, zündete sich eine Zigarette an, lehnte sich zurück und blickte pflichtbewusst auf den schwerfälligen Koloss in ihrem Schlepptau.
Zwei Stunden später kämpfte er mit der zehnten Zigarette und dem dritten Pepsi gegen die Müdigkeit an und konnte sich trotzdem kaum noch wach halten. Die
Emerald Dolphin
war immer noch dort, wo sie sein sollte. Der Koch setzte sich auf und reckte sich, als ein dumpfes Grollen aus dem Schiffsrumpf drang, das wie ferner Donner klang – kein einzelner Knall, sondern eine Reihe kurz aufeinander folgender Schläge. Er kniff die Augen zusammen, konnte aber nichts erkennen, und meinte bereits, er hätte sich alles nur eingebildet, als er bemerkte, dass sich doch etwas getan hatte. Es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass das Schiff tiefer im Wasser lag.
Dann erstarrte der Koch vor Schreck. Das ausgebrannte Kreuzfahrtschiff scherte leicht nach Steuerbord aus, bevor es schwerfällig wieder auf Kurs kam. Der Suchscheinwerfer erfasste eine dichte Rauchwolke, die mittschiffs aus dem Wrack aufstieg und in die Dunkelheit trieb.
Die
Emerald Dolphin
ging unter, und allem Anschein nach sank sie rasch.
Aufgeschreckt rannte der Koch auf die Brücke. »Sie sinkt!«, schrie er. »Heilige Mutter Gottes, sie geht unter!«
McDermott stürmte aus seiner Kabine, als er das Geschrei hörte. Er musste den Koch nicht fragen, was los war. Mit einem Blick erkannte er, dass die
Audacious
mitsamt ihrer Besatzung von dem sinkenden Kreuzfahrtschiff in die Tiefe gezogen wurde, wenn sie die Trosse nicht kappten. Kurz darauf stieß Brown zu ihm, der die Lage ebenfalls auf Anhieb erfasste.
Gemeinsam rannten sie zu der riesigen Winde.
Hektisch lösten sie die Feststellbremse, damit die starke Trosse ablaufen konnte, sahen, wie sie sich zusehends steiler nach unten spannte, als sich der Bug des Schiffes immer tiefer ins Wasser bohrte. Schneller und immer schneller spulte sich die Trosse ab. Sie konnten nur hoffen, dass sie sich von der Trommel losriss, wenn sie abgelaufen war. Sonst wurde die
Audacious
mit dem Heck voran zum Meeresgrund hinabgezogen.
Das zerstörte Kreuzfahrtschiff sank schnell, beängstigend schnell. Schon tauchte der Bug ins Wasser ein, flach noch, aber bald neigte sich das ganze Deck um fünfzehn Grad nach vorn.
Ein scheußliches Knirschen hallte aus dem geborstenen Rumpf, als die Schotten und Spanten unter der Last der eindringenden Fluten nachgaben. Dann ragten bereits das Ruder und die Schubstrahler aus dem Wasser. Einen Moment lang stand das Heck noch senkrecht vor dem Nachthimmel, ehe es in einem Strudel aufquellender Luftblasen in der schwarzen See versank.
Die Trosse war fast abgelaufen, straffte sich dann jäh und
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