Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
wieder in Erinnerung kam, war der Moment, in dem er Ryan eine Pistole an den Kopf gehalten hatte, als der Amerikaner vor vielen Jahren dem KGB-Vorsitzenden Gerasimow überzulaufen half. Sergei Nikolaiewitsch war damals außer sich gewesen, so wütend, wie er in seiner langen und belastenden beruflichen Laufbahn selten gewesen war. Aber er hatte sich beherrscht und nicht abgedrückt, weil es dumm gewesen wäre, einen Mann mit Diplomatenstatus zu erschießen. Jetzt war er froh über seine Mäßigung, denn soeben bot Iwan Emmetowitsch Ryan Russland das an, was er, Golowko, sich von Amerika immer gewünscht hatte: Berechenbarkeit. Ryans Ehrgefühl, seine ausgeprägte Fairness und die persönliche Aufrichtigkeit – das ärgste Handikap in seiner neu übernommenen Rolle als Politiker –, all diese Eigenschaften machten ihn zu einem Mann, auf den Russland sich verlassen konnte.
»Diese chinesische Bedrohung … glauben Sie, es ist wirklich etwas daran?«, fragte Gruschawoi.
»Wir fürchten, ja«, antwortete der amerikanische Außenminister. »Aber wir hoffen, es verhindern zu können.«
»Wie sollen wir das anstellen? China kennt unsere militärische Schwäche. Wir haben in letzter Zeit unseren Verteidigungshaushalt drastisch gekürzt, um die frei werdenden Gelder in Bereiche stecken zu können, die für unsere Wirtschaft von größerem Wert sind. Nun sieht es so aus, als müssten wir dafür einen hohen Preis bezahlen.«
»Herr Präsident, wir hoffen, Russland in dieser Hinsicht helfen zu können.«
»Wie?«
»Herr Präsident, während wir uns hier unterhalten, spricht Präsident Ryan mit den Staats- und Regierungschefs der NATO-Länder. Er schlägt ihnen vor, Russland den Eintritt in den Nordatlantikpakt anzubieten. Das würde die Russische Föderation mit ganz Europa verbünden. Und es dürfte China veranlassen, noch einmal sehr sorgfältig zu überdenken, ob angesichts dessen ein Konflikt mit Ihrem Land angeraten erscheint.«
»Ahh«, hauchte Gruschawoi. »Demnach bietet Amerika Russland eine umfassende staatliche Allianz an.«
Adler nickte. »Ja, Herr Präsident. So, wie wir einmal Verbündete gegen Hitler waren, so können wir auch heute wieder Verbündete gegen alle potenziellen Feinde sein.«
»Das ist mit zahlreichen Komplikationen verbunden, zum Beispiel erfordert es Gespräche zwischen Ihren Militärs und unseren – sogar Gespräche mit dem NATO-Oberkommando in Belgien. Es könnte Monate dauern, um unser Land in die NATO einzugliedern.«
»Das sind verfahrenstechnische Fragen, die von diplomatischen und militärischen Experten zu klären sind. Auf dieser Ebene jedoch bieten wir der Russischen Föderation unsere Freundschaft in Frieden und Krieg an. Wir stellen das Wort und die Ehre unserer Länder zu Ihrer Verfügung.«
»Was ist mit der Europäischen Union, dem Gemeinsamen Markt wirtschaftlicher Bündnisse?«
»Das, Herr Präsident, bleibt der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft überlassen, aber Amerika wird seine europäischen Freunde dazu ermutigen, ihr Land vollständig in die europäische Gemeinschaft zu integrieren, und diesbezüglich allen ihm zu Gebote stehenden Einfluss geltend machen.«
»Was verlangen Sie als Gegenleistung?«, fragte Gruschawoi. Was diesen Punkt anging, hatte sich Golowko zu keiner Prognose hinreißen lassen. Das konnte die Erfüllung vieler russischer Gebete werden, zumal er sich auch vorstellen konnte, dass russisches Öl ein großer Segen für ganz Europa wäre und daher eine Sache gegenseitigen, nicht einseitigen Profits.
»Wir verlangen keine speziellen Gegenleistungen. Es liegt in Amerikas Interesse, zur Schaffung einer stabilen und friedlichen Welt beizutragen. Wir heißen Russland in dieser Welt willkommen. Eine Freundschaft zwischen Ihrem und unserem Volk ist für alle wünschenswert.«
»Und unsere Freundschaft ist auch für Amerika von Vorteil«, flocht Golowko ein.
Adler setzte sich mit einem zustimmenden Lächeln zurück. »Selbstverständlich. Russland wird Güter an Amerika verkaufen und Amerika wird Güter an Russland verkaufen. Wir werden Nachbarn im globalen Dorf, friedliche Nachbarn. Wir werden wirtschaftlich miteinander in Wettbewerb treten und voneinander nehmen und geben, wie es bereits mit anderen Ländern geschieht.«
»Das Angebot, das Sie uns machen, ist so einfach?«, fragte Gruschawoi noch einmal nach.
»Sollte es komplizierter sein? Ich bin Diplomat, nicht Anwalt. Mir sind einfache Dinge lieber als komplizierte.«
Über das
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