Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
im Bau sitzen, und das ist schlecht für die Moral. Mittlerweile sind manche uns gegenüber durchaus gesprächig. Und außerdem ist unsereins besser geworden, zum Beispiel dank elektronischer Überwachungsmöglichkeiten. Was uns früher verboten war, ist heute erlaubt und nennt sich ›Spezialmaßnahmen‹. Und zur Not greifen wir auch mal ohne richterliche Verfügung ein. Heute geht kein Mafioso mehr pissen, ohne dass wir nicht wüssten, wo.«
»Und sie haben sich nie dagegen gewehrt?«
»Du meinst, mit Gewalt? Gegen FBI-Agenten?« Reilly grinste. »Oleg, am FBI vergreift sich keiner. Wir sind so was Ähnliches wie die rechte Hand Gottes, und wer uns etwas will, sieht ganz schlechten Zeiten entgegen. Und weil das auch die schweren Jungs wissen, halten sie sich zurück. Zugegeben, manchmal nehmen wir’s mit den Vorschriften nicht so genau, aber das sind Ausnahmen. Aber wenn du einem Gangster mit harten Konsequenzen für den Fall drohst, dass er über die Stränge schlägt, stehen die Chancen gut, dass er dich ernst nimmt.«
»Das ist bei uns anders. Sie respektieren uns kaum.«
»Na, dann müsst ihr euch Respekt verschaffen, Oleg.« Reilly wusste natürlich, dass sein Vorschlag leichter gesagt als umgesetzt war. Würde es reichen, wenn die hiesigen Bullen ab und an einmal ihre Zurückhaltung aufgäben und den Ganoven zeigten, was auf Majestätsbeleidigung zu erwarten stand? Für Amerika waren solche Auseinandersetzungen Geschichte. Dorfsheriffs wie Wyatt Earp, Bat Masterson und Wild Bill Hickock, Lone Wolf Gonzales von den Texas Rangers, Bill Tilghman und Billy Threepersons vom U.S. Marshall Service – all diese Bullen hatten weniger Probleme mit der Anwendung der Gesetze als damit, ihnen erst einmal Geltung zu verschaffen. Vergleichbare Legenden gab es in Russland nicht. Vielleicht brauchten sie welche. In Amerika lernte man vor dem Fernseher, dass, wer das Gesetz brach, nicht etwa dafür belohnt, sondern bestraft wurde. Das FBI war während der Weltwirtschaftskrise groß geworden, in einer Zeit wachsender Kriminalität, und es hatte sich auf seine Weise zur Legende stilisiert, nicht zuletzt dadurch, dass es ihm gelungen war, viele Verbrecher dingfest zu machen und manche sogar auf offener Straße zur Strecke zu bringen. In Amerika wurden Polizisten von der Mehrheit als Helden angesehen, die nicht nur geltendes Recht durchsetzten, sondern auch die Bürger vor Rechtsbrechern aktiv in Schutz nahmen. Hier in Russland musste dieses Gefühl von Sicherheit erst noch kultiviert werden, denn noch wirkten die repressiven Strukturen des alten Regimes nach. Ein russischer John Wayne oder Melvin Purvis täte dem Land vielleicht ganz gut, dachte Reilly. Hier zu arbeiten machte ihm zwar viel Freude, aber so sehr er auch seine russischen Kollegen zu achten und schätzen lernte, wähnte er sich doch manchmal in einen Augiasstall versetzt, den es sauber zu machen galt. Oleg war um diese herkulische Aufgabe wirklich nicht zu beneiden, doch er, Reilly, war entschlossen, ihm nach Kräften dabei zu helfen.
»Nicht, dass ich mit dir tauschen wollte, Mischka, allerdings wünschte ich mir den Status, den du in deiner Behörde genießt.«
»So etwas kommt nicht von ungefähr, Oleg. Das haben sich viele gute Leute in jahrelanger Anstrengung erkämpft. Ich sollte dir vielleicht mal einen Film mit Clint Eastwood zeigen.«
»Dirty Harry? Den hab ich schon gesehen.« Ist ja recht unterhaltsam , dachte Prowalow, aber doch ziemlich unrealistisch.
»Nein, Hängt ihn höher , da spielt er einen Marshal, damals im Wilden Westen, wo Männer noch Männer und Frauen dankbar waren. Übrigens, es stimmt in Wahrheit gar nicht, dass der Westen so wild war.«
Prowalow merkte auf und zeigte sich verwundert. »Warum wird dann in all den Filmen das Gegenteil behauptet?«
»Filme sollen unterhalten. Und zu zeigen, wie Getreide angebaut oder Rinder gebrandmarkt werden, ist ja nicht gerade prickelnd. Der amerikanische Westen wurde in der Mehrzahl von Veteranen des Bürgerkriegs besiedelt. Das waren hartgesottene Kerle, die sich auch von Revolverhelden nicht einschüchtern ließen. Vor ungefähr 20 Jahren hat ein Professor von der Oklahoma State University ein Buch zu diesem Thema geschrieben. Er hatte in Gerichtsakten und dergleichen recherchiert und herausgefunden, dass damals, von Schießereien in Saloons abgesehen – Kanonen und Whisky sind eine explosive Mischung, nicht wahr? –, gar nicht so viele Verbrechen begangen worden sind. Die Gesetze
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