Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
Schreibtischschublade. Es war nicht das erste Mal, dass ihm dieser Fall Kopfschmerzen bereitete, und es würde bestimmt auch nicht das letzte Mal sein. Falls man es auf Golowko abgesehen hatte, war Suworow aller Wahrscheinlichkeit nur derjenige, der die Killer auf den Weg gebracht hatte. Der oder die eigentlichen Auftraggeber waren wohl andere.
Aber wer?
Und warum?
Cui bono lautete die ewig gleich Frage, so eben auch schon in jener Sprache, die längst tot war: Wem nutzt es? Wer profitierte von der Tat?
Spontan beschloss Prowalow, sich bei Abramow und Ustinow zu melden. Vielleicht konnten sie Suworow aufgreifen. Dann würde er in den Norden fliegen und den Mann verhören. Prowalow kritzelte einen Text zusammen, schickte ihn als Fax nach St. Petersburg und stand von seinem Schreibtisch auf, um nach Hause zu gehen. Er warf einen Blick auf die Uhr. Nur zwei Überstunden. Nicht schlecht für diesen Fall.
Generalleutnant Gennadi Josifowitsch Bondarenko sah sich in seinem Büro um. Er trug seine drei Sterne schon seit einer geraumen Zeit und fragte sich, ob er wohl jemals noch eine Stufe höher kommen würde. Seit 31 Jahren war er Berufssoldat und hatte immer den Ehrgeiz gehabt, zum kommandierenden General der russischen Armee aufzusteigen. Diesen Posten hatten schon viele gute Männer innegehabt. Zum Beispiel Marschall Gregori Schukow, der Mann, der sein Land vor den Deutschen beschützt hatte und dem viele Standbilder gewidmet waren. Bondarenko hatte, als er noch ein grüner Kadett gewesen war, Schukow dozieren hören, sein massiges, stumpfes Gesicht mit den eisblauen Augen vor sich gesehen, den wahren russischen Helden, der sich durch Politik nicht hatte klein machen lassen und dessen Name Deutschland das Fürchten gelehrt hatte.
Dass es Bondarenko so weit nach oben geschafft hatte, war sogar für ihn selbst ein kleines Wunder. Er hatte als Funker angefangen und für kurze Zeit die Spetsnaz in Afghanistan unterstützt, wo er dem Tod zweimal von der Schippe gesprungen war, als er beide Male in verzweifelter Situation den Befehl übernommen und sich mit Bravour behauptet hatte. Er war verwundet worden und hatte eigenhändig getötet, was nur wenige Obristen taten, geschweige denn gern – es sei denn unter Kameraden in der Offiziersmesse nach mehreren Schnäpsen.
Wie viele Männer seines Ranges vor ihm war Bondarenko so etwas wie ein ›politischer‹ General, das heißt, er verdankte seinen Karrierestern nicht zuletzt der guten Beziehung zu einem einflussreichen Politiker, nämlich zu Sergei Golowko. Doch ganz ohne eigene Meriten hätte er es wohl auch nicht geschafft, und Tapferkeit vor dem Feind, die er sattsam unter Beweis gestellt hatte, war beim russischen Militär ebenso hoch angesehen wie bei anderen Streitmächten. Intelligent war er auch, und so stellten sich die Erfolge fast zwangsläufig ein. Seine Aufgabe war vergleichbar mit der eines amerikanischen J-3, eines Stabschefs der Streitkräfte. Er hatte den ganzen Globus bereist, vieles über andere Streitkräfte gelernt und das, was ihm nützlich erschien, auch auf seine Soldaten übertragen. Der einzige Unterschied zwischen Soldaten und Zivilisten war ja ohnehin nur das Training, und Bondarenko wollte der russischen Armee wieder denselben scharfen Schliff beibringen, den sie schon unter Schukow und Koniew bei der Erstürmung Berlins an den Tag gelegt hatte. Dieses Ziel lag zwar noch in ferner Zukunft, aber der General war überzeugt, das richtige Fundament bereits gelegt zu haben. In zehn Jahren würde seine Armee vielleicht da sein, wo er sie haben wollte. Er würde die Früchte seiner Arbeit wohl noch sehen können, auch wenn er dann schon pensioniert wäre und zu Hause säße, mit seinen Ehren- und Verdienstabzeichen eingerahmt an den Wänden und auf den Knien die Enkelkinder. Und um Rat gefragt, würde er dann als General a. D. gelegentlich nach dem Rechten sehen und Vorschläge unterbreiten.
Im Moment hatte er nichts mehr zu tun, aber es drängte ihn auch nicht nach Hause, wo seine Frau ein paar Frauen anderer Offiziere zu Besuch hatte. Solche Kränzchen waren ihm allzu langweilig. Der Militärattaché in Washington hatte ihm ein Buch geschickt. Es trug den Titel Swift Sword und war von Nicholas Eddington verfasst, einem Colonel der amerikanischen Nationalgarde. Eddington, ja natürlich – er war der Colonel, der seine Brigade in der kalifornischen Wüste ausgebildet hatte, als der Befehl kam, sie an den Persischen Golf zu verlegen. Und
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