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Im Zeichen des himmlischen Baeren

Titel: Im Zeichen des himmlischen Baeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Hana die heiligen Geräte gesäubert und das Strohgeflecht entfernt haben mussten. Die Riten, die wir anwendeten, um zur Ekstase zu gelangen, wurden geheim gehalten.
    Erschöpft starrte ich in das Halbdunkel. Es kam manchmal vor, dass ich beim Erwachen aus der Trance die Mitteilung des Orakels vergessen hatte; darum mussten Zeugen anwesend sein, die später meine Aussagen wiederholten. In dieser Nacht jedoch war jedes Wort wie mit glühenden Eisen in mein Gedächtnis geprägt. Meine Haut war von Schüttelfrost überzogen, und doch spürte ich, wie ich innerlich glühte. Wahrhaftig, dachte ich, es ist grauenvoll für einen Menschen, die Stimmen des Jenseits zu empfangen und dem Schicksal als Werkzeug zu dienen …
    Ich presste die Handflächen auf die Augen, bis rote und gelbe Flecken sich hinter meinen Lidern zu drehen begannen. Ein Bild löste sich aus dem flackernden Wirbel: das Gesicht eines Mannes, goldbraun und schön, mit Augen, glühend wie rötliches Holz bei Nacht. Ein Stöhnen entfuhr mir. Ich dachte: Wie kann ich es wagen, dir wieder ins Antlitz zu schauen?
    Â»Herrin, seid Ihr erwacht?«
    Makis besorgte Stimme riss mich aus meiner Benommenheit. Ich nahm die Hände von den Augen und starrte auf die Zeltbahnen, durch die das goldene Licht der Morgensonne drang. Langsam richtete ich mich auf.
    Â»Kleide mich an. Man lasse den König wissen, dass ich die Botschaft des Orakels empfangen habe.«
    Purpurne Sonnenpfeile brachen durch das Laub, und der Tau funkelte auf den Grashalmen, als ich mich unter dem Zeltvordach auf einem Kissen niederließ. Mein Gesicht war weiß gepudert, die Lippen rot geschminkt. Über meinem weißen Seidengewand mit den weiten Flügelärmeln trug ich einen scharlachfarbenen Überwurf. Über meiner Stirn war ein breiter Bambuskamm befestigt, den zwei Kugeln aus unbekanntem schwarzen Metall verzierten. Es war der Kamm, der mir einst auf der Heiligen Insel von der »Hüterin des Heiligtums« als Zeichen meiner Unterweisung überreicht worden war. Ich trug ihn, um dem König zu bedeuten, dass ich ihn nicht als Gattin, sondern als oberste Sonnenpriesterin empfing. Er sank vor mir auf die Knie und berührte mit der Stirn den Boden. Dann setzte er sich auf die Fersen zurück und sah mir gespannt ins Gesicht, doch er wartete, bis ich als Erste das Wort ergriff.
    Er trug ein blaues Gewand, eine goldbestickte Schärpe und einen Harnisch aus Leder und Bronzeketten. Seine verkrampften Züge verrieten mir seine Unruhe. An seinen blutunterlaufenen Augen und an dem leichten Geruch von Reiswein merkte ich, dass er eine schlaflose Nacht hinter sich hatte.
    Langsam und nachdrücklich sprach ich: »Heute Nacht vollzog ich die Riten. Der Geist Eures Verehrungswürdigen Bruders ließ mir eine Mitteilung zukommen.«
    Iri deutete eine Verbeugung an. »Ist seine Seele besänftigt?«
    Â»Ja. Die Opfer wurden zu seiner Zufriedenheit vollzogen.«
    Iri verbeugte sich abermals und ich spürte wieder seine Ungeduld.
    Â»Folgendes«, fuhr ich fort, »hat mir das Orakel offenbart. Das Sternenschwert wird uns den Sieg schenken. Doch einzig Susanoo-no-Mikoto, König des Landes Izumo, ist es erlaubt, die heilige Waffe zu führen.«
    Iri starrte mich an, als würde sich die Erde vor ihm spalten. Alles Blut war aus seinem Gesicht gewichen. Ein endloses Schweigen. Dann brach es fast zischend aus ihm hervor: »Seid Ihr von Sinnen? Oder habt Ihr die Zeichen missdeutet?«
    Ich kniete vor ihm in der gleichen bewegungslosen Haltung. »Wir Menschen«, sagte ich, »sind in den Händen der Götter. Unserem Begreifen sind Grenzen gesetzt und darüber hinaus sollten wir nicht forschen.«
    Iri hörte mir kaum zu. »Ein Abtrünniger, der die Waffen gegen sein eigenes Volk erhob!« Er erstickte fast an seinen eigenen Worten.
    Ich rührte mich nicht und senkte auch nicht den Blick. »Er befolgte den Ruf seines Schicksals.«
    Iri beugte sich vor, weiß vor Wut, und hämmerte mit den Fäusten auf den Boden. »Sein Todesurteil war bereits beschlossen! Ihr aber habt ihn aus dem Gefängnis befreit und ihm zur Flucht verholfen!«
    Trotz aller Beherrschung spürte ich meine Stimme beben. »Er hat nicht die Flucht ergriffen! Er ging ins Exil, weil ich es anordnete!«
    Â»Wenn er sich göttlichen Wohlwollens erfreut, so ist das eine Angelegenheit zwischen ihm und der

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