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Im Zeichen des himmlischen Baeren

Titel: Im Zeichen des himmlischen Baeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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weiße Tücher hingen. Oberhalb der Stäbe wurden zwölf Seile, die die zwölf Monate des Jahres darstellten, befestigt und schlangenförmig verknotet. Der somit gebildete Kreis stellte die Himmelsdecke dar; die schlangenförmigen Verknotungen versinnbildlichten das Leben. Matten aus weichem Steppengras wurden auf dem Boden ausgebreitet. Auf einem Holzkohlebecken kochte ich Reis und füllte ihn dann in vier kleine Schalen.
    All diese Vorbereitungen nahmen viel Zeit in Anspruch; wir sprachen kein Wort, um den Geist, den ich anrufen würde, nicht zu erschrecken.
    Mitternacht war bereits vorüber, und ich war sehr müde, als mich Etsu und Hana in ein weißes, fließendes Gewand kleideten. Eine ebenfalls weiße Kordel, deren Knoten zu einer Acht geschlungen war, umschloss meine Taille. Mein Gesicht wurde weiß gepudert; ein Band aus Reisstroh hielt mein kurzes Haar im Nacken zusammen. Etsu reichte mir eine Rute aus Weißholz und Hana eine mit Wasser gefüllte Schale. Ich tauchte die Rute in das Wasser und besprengte das Zelt in den vier Himmelsrichtungen. Dann kniete ich mich unter dem Strohgeflecht vor einem bronzenen Dreifuß nieder und zündete mit einem Holzscheit die Kohle an. Etsu und Hana knieten still mit gesenkten Köpfen, während ich mir Schläfen und Handgelenke mit einer stark duftenden Salbe einrieb. Der würzige, schwere Duft, der sich mit dem Geruch des Rauches vermischte, berauschte mich. Ich warf Kirschbaumrinde in das Feuer. Ein leises Zischen war zu hören. Der Geruch wurde süßlich herb und nahm mir fast den Atem. Ein rötlicher Schleier senkte sich vor meine Augen. Mir schien, dass die Zeltwände sich in Nebel auflösten. Die Luft schluckte jede Spur von Licht. Ein schwarzer Himmel klaffte wie ein offenes Tor, aus dem eisige Kälte strömte. Schauder rieselten über meinen Körper. In der Finsternis war mir, als ob mein Bewusstsein wie eine erlöschende Kerze flackerte. Ein Luftzug, der den Geruch modriger Erde mit sich trug, wehte durch den leeren Raum. Von weit her hallte eine Stimme zu mir herüber. Es war nicht die Stimme eines Lebenden; sie drang auch nicht an mein Gehör. Einzig mein Geist verstand, was sie sagte.
    Â»Ich bin es … Itzuse! Befrage mich!«
    Meine Lippen öffneten sich. »Wo … wo befindest du dich?«
    Â»Ich bin dir nahe. Die Kraft in dir hat mich herbeigerufen. Doch eile! Ich kann nur kurze Zeit bei dir verweilen …«
    Die eiskalte Finsternis fegte durch mich hindurch. »Warum bist du gestorben?«
    Â»Die Göttin lenkte den Speer auf mich, um den König zu strafen. Mir jedoch gewährte sie die Gnade, zwischen Leben und Tod zu wählen. Ich wählte den Tod …«
    Â»Ist deine Seele versöhnt?«
    Â»Meine Seele ist versöhnt, denn die Riten wurden eingehalten.«
    Der Modergeruch erstickte mich fast. Ich rang verzweifelt nach Luft. »Was wird jetzt geschehen?«
    Â»Das Sternenschwert wird euch den Sieg bescheren. Doch lasset den König wissen, dass er nicht dazu berufen ist, die heilige Waffe zu führen.«
    Die Worte hallten in der vibrierenden Leere. Ich stöhnte: »Wer ist denn dazu berufen, sie zu führen?«
    Â»Jener, der sie einst geschmiedet hat.«
    Mein Kopf schien zersprungen und von blauen Flammen erfüllt. »Das kann niemals sein!« Ich hörte mich röcheln. »Er wurde mit dem heiligen Bannfluch belegt …«
    Unerbittlich fuhr die Stimme fort: »Er war dazu auserwählt, unsere Einigung herbeizuführen und das Königreich zu festigen …«
    Ich schrie, und es war ein Aufbäumen meiner ganzen Seele: »Er trägt die Zeichen der Schande!«
    Â»Er hat seine Schuld abgetragen. Die Göttin sprach ihn frei …«
    Der eisige Windstoß fuhr über meinen Körper hinweg. Die Stimme klang wie das Echo einer fernen, immer leiser werdenden Tempelglocke. In meinen Ohren pochte und rauschte das Blut. Ich verlor die Besinnung.
    Dämmerung. Leises Stimmengewirr. Huschende Schatten. Ich stöhnte: »Zu trinken!«
    Jemand hob mir den Kopf, führte eine Schale heißen Tee an meine Lippen. Gierig trank ich. Nach und nach kehrte mein Bewusstsein zurück. Ich lag auf einer weichen Matte, in meinem Zelt. Maki hatte mir die nass geschwitzten Kleider ausgezogen, mich gewaschen und gekämmt. Der Tag brach an: Ich hörte das Zwitschern der Vögel. Mir kam in den Sinn, dass Etsu und

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