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Im Zeichen des himmlischen Baeren

Titel: Im Zeichen des himmlischen Baeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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ließ sich in die Kissen zurückfallen. Der Anflug eines Lächelns glitt über sein entstelltes Gesicht. »Ich danke dir. Du kannst gehen.«
    Onoshi verneigte sich und verließ das Zelt. Ich sah, wie Iri sich vergeblich bemühte, das Zittern seines Kinns zu unterdrücken. Itzuses abgezehrte Finger verkrampften sich auf der Decke. Als er sprach, klang seine Stimme friedlich und klar: »Was ist ein Mann noch wert, dem es versagt ist, ein Streitross zu führen? Wir haben den Zorn der Göttin heraufbeschworen und sind in ihrer Hand.« In seinen Worten schwangen Stolz und Verachtung mit. Ein Krüppel, der sich nicht mehr im Sattel halten konnte, musste sich vor den Kriegern schämen.
    Iri presste den Mund fest aufeinander. Unsere Blicke begegneten sich und ich las Hass in seinen Augen. »Das Schwert ist mit Unheil beladen!«, keuchte er. »Ich werde es im Ozean versenken lassen!«
    Itzuse hob matt die Hand. Er atmete gepresst und seine Worte waren kaum verständlich. »Nicht das Schwert … ist mit Unheil beladen. Ihr habt … die Warnung übersehen … die Riten missachtet …«
    Der König starrte ihn an. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Dann senkte er den Kopf. Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn und ein tiefer Atemzug hob seine Brust. »Wahrlich«, stieß er hervor, »ich habe Unseliges getan und der Göttin missfallen. Wie kann ich ihr Wohlwollen wiedergewinnen?«
    Itzuses aufflackernder Blick wanderte zu mir hinüber. »Toyo no Mikoto … wenn ich nicht mehr bin … befragt das Orakel. Die Göttin wird Euch … durch mich … ihre Botschaft verkünden …«
    Ein kühler Hauch schien durch das Zelt zu wehen und ließ mich erschauern. Ich verneigte mich, von Ehrfurcht erfüllt, und spürte auf meiner Wange die Berührung meines kurz geschnittenen Haares. »Habt Dank, Itzuse. Ich werde Euer Wort befolgen.«
    Â»Lasst mich allein«, flüsterte Itzuse. Sein Kopf bewegte sich hin und her. Abgebrochene, kaum hörbare Sätze kamen über seine Lippen. »Bringt mir … mein Streitross … Wir werden über einen Teppich aus Gräsern … bis zu den Ufern des Himmels dahinstürmen … wie die Wolken … wie der Blitz … wie die Bahn eines fallenden Sternes …«
    Sein Gesicht war von Sehnsucht verklärt.
    Iri sagte feierlich: »Er ist glücklich. Bald wird er in die Steppen seiner Väter zurückkehren.«
    Itzuses Atemzüge waren tief, röchelnd. Seine Augäpfel bebten hinter den geschlossenen Lidern. Die bleichen Hände zuckten auf den Kissen.
    Er starb bei Tagesanbruch, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
    Iri ordnete neun Tage Trauer an und ließ seinen Bruder mit den größten Ehren bestatten. Itzuse wurde mit seinen Waffen, seinem Schild und seinem Schmuck in ein prunkvoll ausgestattetes Grab gelegt. Der Verstorbene, in seine kostbarsten Gewänder gekleidet, war in ein seidenes Leichentuch gehüllt. Er ruhte auf einer mit Schnitzereien versehenen Bahre und sein Haupt war nach Osten gerichtet. Um seine große Trauer zu bekunden, befahl der König, dass Itzuses Lieblingspferd, ein kastanienbrauner Hengst mit wundervoller, lockiger Mähne, ihn ins Jenseits begleiten sollte. Man hatte ihm Harnisch und Zaumzeug abgenommen und weiße Bänder in die Mähne geflochten. Iri selbst schwang das Schwert, das ihm die pulsierende Halsschlagader durchschnitt. Es war ein schnelles Töten, aber ich empfand Mitleid und Schmerz, als das schöne Tier in die Knie sank, seinen blutüberströmten Kopf im Staub wälzte und schließlich für immer erstarrte.
    Der tote Hengst wurde neben dem Verstorbenen in die Gruft gelegt. Dann wurde die Öffnung mit einem mächtigen Felsblock verschlossen. Man häufte schwere Steine auf die Grabstätte und schaufelte Erde darüber. Schon im nächsten Frühling würden Moos und Gräser darauf wachsen. Im Laufe der Zeit würde sich der grüne Hügel kaum noch von seiner Umgebung abheben …
    Als der neunte Trauertag verstrichen war, ließ ich abseits des Lagers ein Zelt errichten. Etsu und Hana stellten in der Mitte des Zeltes ein Strohgeflecht auf, dessen strahlenförmiger oberer Teil das Sonnenrad darstellte. Das Strohgeflecht symbolisierte die Weltachse. Rundherum steckten die Priesterinnen zwölf grüne Bambusstäbe in den Boden, an denen

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