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Im Zeichen des himmlischen Baeren

Titel: Im Zeichen des himmlischen Baeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Ainu-Mädchen im Turmverlies. Ich wusste, dass ich entfliehen konnte, und ich wusste auch, wie ich es anstellen würde.
    Das Licht wurde heller; Stimmen und Schritte hallten im Hof. Bald würde der Wächter kommen, um die Schale zu holen und mir eine neue hinzustellen. Ich straffte die Armmuskeln und lockerte sie dann. Meine Handgelenke dehnten sich: Fast mühelos streifte ich die Eisen von meinen Händen. Ich wiederholte die gleiche Bewegung mit den Fußknöcheln und legte die Ketten behutsam auf den Boden. Ich war frei … Geräuschlos durchquerte ich den Kerker und kauerte mich an die Wand neben der Türöffnung. Ich nahm den Schmuck aus Walfischknochen von meinem Hals und hielt ihn in der Hand wie einen Dolch. Dann wartete ich; mein Daumen glitt langsam auf und ab an der messerscharfen Schneide …
    Die Zeit verging; das Licht wurde heller. Ich kauerte in der Dunkelheit und atmete geräuschlos. Plötzlich erstarrte ich: Schritte polterten auf der Holztreppe. Ein Schatten bewegte sich hinter der Türritze. Der Riegel wurde zurückgeschoben. Ich verhielt mich völlig regungslos, jeden Muskel angespannt wie eine zum Sprung geduckte Katze … Die Scharniere quietschten; die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. Der Wachtposten bückte sich, um die Schale zu nehmen. Ich konnte die Umrisse seines Kopfes, seiner Schultern erkennen und spürte seinen schweren Atem. Meine Hand zuckte blitzschnell empor. Der Mann fuhr zurück, warf schützend die Arme hoch, doch die Knochensichel hatte ihm schon die Kehle durchschnitten. Sein Aufschrei erstickte in einem Blutstrom: Er schlug röchelnd und hart auf den Boden. Er war bereits tot, als ich ihn unter den Armen packte und in das Verlies zerrte. Rasch untersuchte ich seine Waffen: Speer und Langschwert waren zu unhandlich. Den Dolch? Ja … den konnte ich gebrauchen.
    Vorsichtig trat ich aus dem Verlies und zog die Tür hinter mir zu. Ich lief geräuschlos durch den niedrigen Gang, dann die Holztreppe hinauf. Oben war eine Tür, die nach draußen führte. Ich drückte mich gegen die Wand und spähte um die Ecke. An der Brustwehr standen zwei Wachen, doch sie bemerkten mich nicht. Es war die Zeit der Wachablösung: Zwei neue Wachen stiegen die Steinstufen hinauf. Die Männer wechselten einige Worte; ich hörte sie lachen. Lautlos trat ich auf den Wehrgang. Als die Wachen wieder zum Turm blickten, duckte ich mich bereits zwischen den Zinnen. Ich kauerte auf der Mauer und sah nach unten. Auf der einen Seite lag ein Hof. Eine Wache saß da mit untergeschlagenen Beinen und gähnte. Der Schatten des Speers zeichnete sich scharf auf dem Sand ab. Auf der anderen Seite, tief unten, lag der Wallgraben. Die Festungsmauern spiegelten sich im smaragdgrünen Wasser. Ich band den Schmuck wieder um meinen Hals, füllte meine Lungen mit Luft und sprang. Die schillernde Wasserfläche schien mir entgegenzufliegen. Die Luft sauste um meine Ohren. Dann schlug mir die Kälte wie ein Peitschenhieb ins Gesicht. Finsternis umspülte mich. Grüne Gestirne flackerten vor meinen Augen; mir war, als würden meine Lungen zerreißen.
    Ich schrie auf, ich glaubte zu sterben … und dann wurde ich wach. Ich lag auf der Matte und blinzelte benommen ins Morgenlicht, das hell und warm durch die Schiebetüren fiel. Mit zitternden Händen strich ich mir das wirre Haar aus dem Gesicht. Ein Traum … es war nur ein Traum gewesen!
    Die Schiebewand glitt zur Seite. Meine Zofe Maki verbeugte sich auf der Zimmerschwelle. Ihre Augen blickten fragend und besorgt. Sie musste den Aufschrei gehört haben.
    Â»Kleide mich an!«, befahl ich. »Mach schnell!«
    Maki war dabei, meine Schärpe zu knoten, als Lärm zu uns drang. Ich hörte aufgeregte Schritte und die Stimmen der Wachtposten, die sich etwas zuriefen. Der Schweiß brach mir aus allen Poren; ich schob Maki zurück. »Geh und erkundige dich, was vorgefallen ist!«
    Maki verneigte sich und glitt hinaus. Ich holte tief Atem. Die Meldung, die sie mir überbringen würde, kannte ich bereits: Das Ainu-Mädchen war entflohen!
    Mein Herz klopfte vor Angst. Ich biss mir die Lippen wund, um meine Erregung zu beherrschen. Ich war verzweifelt und wusste nicht, warum. Das Ainu-Mädchen war fort? Nun gut! War es nicht mein innigster Wunsch gewesen, sie irgendwie loszuwerden?
    Ich hatte Iri noch nie so aufgebracht gesehen wie kurz darauf, als er im

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