Im Zeichen des himmlischen Baeren
Susanoo erneut in den Sattel, schnalzte mit der Zunge und lieà das Tier wieder ausgreifen. Die Sonne stieg höher; der Himmel war türkisblau, die Luft klar und kühl. WindstöÃe fegten wie Wellen über das Schilf.
Das Pferd trabte einen feuchten Hügelhang hinauf, als Susanoo plötzlich so heftig die Zügel anzog, dass Kuro-Uma vor Schmerz schnaubte. Der König von Izumo glitt aus dem Sattel und untersuchte aufmerksam den Boden. Zwischen den Grashalmen fand er, was er suchte: den kaum sichtbaren Abdruck eines FuÃes mit leicht einwärts gekrümmten Zehen. Ein Lächeln huschte über Susanoos Gesicht. Die Spur war noch frisch. Das Ainu-Mädchen musste vor nicht allzu langer Zeit hier vorbeigekommen sein. Susanoo ergriff die Zügel und stieg wieder in den Sattel. Er hoffte, Kubichi einzuholen, bevor der Nachtfrost den Boden verhärtete und jede Spur verwischte. Es war ihm klar, dass er sein Leben aufs Spiel setzte: Je tiefer er in das Ainu-Gebiet vordrang, desto gröÃer war die Gefahr, von einem Speer oder einem vergifteten Pfeil getroffen zu werden. Er wusste auch, dass Kubichi bewaffnet war.
Bald fand er eine neue Spur: Es waren nur ein paar geknickte Halme; eine kaum sichtbare Fährte, die sich durch das Schilf schlängelte. Susanoos Augen suchten aufmerksam den Boden ab. Das trockene Rohr raschelte, während er hindurchritt, und schlug ihm ins Gesicht. Dann tat sich vor ihm eine Lichtung auf. Er spürte, wie Kuro-Uma erbebte, und hielt sofort an. Der Hengst lieà nervös die Ohren spielen. Seine samtweichen Nüstern sogen die Luft ein. Susanoo drehte den Kopf in Windrichtung, bis auch er einen kaum spürbaren Geruch nach Holzkohle und Leder wahrnahm. Der Geruch kam aus einem Dickicht auf der anderen Seite der Lichtung. Einige Atemzüge lang verharrte der Reiter regungslos und hielt den Blick auf die Büsche gerichtet; die Sonne schien ihm voll ins Gesicht. Dann drückte er dem widerstrebenden Hengst die Fersen in die Flanken und überquerte langsam die Lichtung.
Das Ainu-Mädchen hatte sich im Unterholz versteckt. Es lag auf den Knien und hatte das rechte Ohr flach an den Boden gepresst. Das vibrierende Pochen hatte sie schon seit geraumer Zeit bemerkt. Sie wusste: Ihre Fährte war entdeckt worden!
Nach einer Weile hob Kubichi den Kopf und lauschte: Das Klopfen von Hufen war deutlich zu vernehmen. Das Mädchen fuhr nervös mit der Zunge über Zähne und Lippen. Ein einzelner Reiter! Was hatte das zu bedeuten? Hinter Büschen und Bambus verborgen, konnte sie ihren Verfolger nicht sehen, doch er kam immer näher. Vorsichtig kroch sie noch weiter zurück und dann rannte sie. Sie lief lautlos und unglaublich schnell, ohne die geringste Erschöpfung zu zeigen.
Nach einer Weile blieb sie stehen: Es roch nach Feuchtigkeit und leises Plätschern drang an ihr Ohr. Sie folgte dem Geräusch. Ein breiter, tiefer Bach schlängelte sich durch Bambusstauden und herbstgoldenes Buschwerk. Das Wasser war durchsichtig bis auf den Grund und vom leuchtenden Schimmer der Wasserpflanzen angefüllt. Wieder lauschte Kubichi. Sie vernahm das Hämmern der Hufe, das Knacken der Zweige. Lautlos bewegte sie sich am Ufer entlang. In der tief abfallenden Böschung war eine mit Wasser gefüllte Höhle, wo winzige Fische hin und her schossen. Hier war der Bach so tief, dass seine Farbe in dunkles Grün hinüberspielte.
Kubichis Augen wanderten suchend umher. Sie brach ein langes Schilfrohr ab und sog damit die Luft ein. Dann lieà sie sich geräuschlos ins Wasser gleiten. Sie schwamm dicht unter der Oberfläche, die Augen weit geöffnet, tauchte in die Höhle ein und tastete sich an der glitschigen Erdwand entlang. Mit den Zehen umklammerte sie die Schlingpflanzen. Sie führte das Rohr, das sie mit den Fingern zusammengedrückt hatte, an ihre Lippen und sog völlig entspannt die Luft ein. Tief atmen konnte sie nicht, aber es genügte. Ihr Körper wurde aufgehoben und stieà gegen die Wölbung. Sie ergriff die herabhängenden Wurzeln und hielt sich daran fest. So lag sie, still wie ein ruhender Fisch, mit weit geöffneten Augen.
Nach einer Weile fühlte sie an den Schwingungen des Wassers, dass der Reiter den Bach erreicht hatte und ihn durchquerte. Kubichi wurde leicht hin und her geschaukelt. Sie umklammerte die Wurzeln fester und rührte sich nicht, bis die Bewegungen des Wassers völlig abgeklungen
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