Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)
Picknickkorb aus der Backskiste. »So wie du segelst, könntest du an der Regatta teilnehmen.«
Felix sitzt einfach da und grinst wie ein Honigkuchenpferd.
»Was ist das für eine Regatta?«, fragt Mr Andersen.
»Die findet jeden Sommer am letzten Augusttag statt«, erklärt Dad. »Jedes Segelboot kann daran teilnehmen und es geht rund um den Gull Rock. Start und Ziel ist der Hafen.«
Ich ziehe die Knie an die Brust. Ich will nicht, dass ihnen Dad irgendwas davon erzählt. Das ist unser Boot und unser Rennen. Ich blicke hinüber auf den vorgelagerten Kiesstrand und auf die steilen Klippen des Gull Rock und fühle tief in mir einen Schmerz. Das ist unser ganz besonderer Ort. Vielleicht werden wir nie mehr hierherkommen.
»Möchte irgendjemand Pastete?«, fragt Dad.
Der Duft von gekochtem Fleisch und Zwiebeln weht über das Boot.
Dad reicht Felix eine der zerquetschten Pasteten. »Magst du so was?«
Felix nickt. »Ich bin am Verhungern.«
Dad gießt Limonade in Plastikbecher und balanciert sie auf die Holzbank.
Mr Andersen nimmt einen Bissen von der Pastete, lehnt sich zurück und legt die Füße auf die Bank. Er zieht seinenHut über die Augen und lächelt. »Ich muss gestehen, das ist das beste Essen seit Jahren.«
Ich rühre meine Pastete nicht an. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich bei der Regatta jemand anderen als uns die Moana segeln sehe. Ich möchte nicht mehr an Felix und seinen Dad denken. Ich möchte auch Jake Evans vergessen. Ich will einfach nur abhauen.
»Darf ich ’ne Runde schwimmen, Dad?«, frage ich.
Dad nickt. Ich hole meine Tauchmaske und den Schnorchel aus der Backskiste und ziehe mich bis auf den Badeanzug aus.
Mr Andersen guckt Felix an. »Warum schwimmst du nicht mit? Du könntest dich dabei gleich ein bisschen sauber machen.«
Felix’ Shorts sind mit verkrustetem Meersalz und getrocknetem Erbrochenen gemustert. Er schaut an sich herunter und zuckt mit den Schultern. »Okay.«
Ich starre auf meine Füße. Ich will allein schwimmen und nicht Felix neben mir paddeln sehen.
»Geht das in Ordnung, Kara?«, fragt Mr Andersen.
»Da draußen kann es starke Strömungen geben«, sage ich.
»Ihr schwimmt nur bis zu den Felsen«, sagt Dad.
»Felix ist ein guter Schwimmer«, sagt Mr Andersen.
»Und außerdem ist das Wasser kalt«, sage ich.
Dad findet eine zweite Tauchmaske. »Hier, Felix. Ihr dürftet heute eine Menge sehen, das Wasser ist kristallklar.«
Ich lasse meine Beine über die Bordwand der Moana hängenund schaue hinunter. Mein Spiegelbild ist genauso gekräuselt wie die Oberfläche des Wassers. Als ich klein war, habe ich geglaubt, das sei ein Zauberspiegel, ein geheimer Einstieg in eine andere Welt in der Tiefe.
Ich hole tief Luft.
Und tauche ein.
Kaltes Wasser umgibt meinen Körper. Ich drehe mich und schaue hinauf zur Oberfläche des Meeres. So sieht ein Delfin den schattigen Schiffsrumpf der Moana . Sonnenstrahlen durchbrechen die Wasseroberfläche und greifen förmlich in das tiefe, tiefe Blau des Meeres. Ich schwimme auf die Felsen zu, die unter den Klippen liegen. Die schmalen Felsspalten sind von purpurnen Jewelanemonen umsäumt. Zwischen den wogenden Seegrashalmen huschen kleine, silberne Sandaale hin und her.
Als ich zum Luftholen auftauche, ist Felix direkt hinter mir. Dass er überhaupt schwimmen könnte, war mir wirklich nicht in den Sinn gekommen. Ich wische mir die Haare aus dem Gesicht, während er seine Tauchmaske anhebt, um das eingedrungene Wasser abfließen zu lassen. »Ich kann überhaupt nichts sehen«, sagt er.
Seine Maske ist beschlagen und voller Wassertropfen. »Spuck rein«, sage ich.
Felix guckt mich schräg an. »Was?«
»Spuck rein. Dann beschlägt die Maske nicht mehr.«
Felix zieht die Maske ab, spuckt hinein und reibt den Speichel mit dem Daumen breit. Dann stülpt er sich dieMaske wieder mühsam über den Kopf. Ich will ihm schon helfen, sehe aber, dass Dad und Mr Andersen zugucken, also schwimme ich auf ein Unterwasserriff zu, das von feinem weißem Sand gesäumt ist.
Felix folgt mir. Wir lassen uns nebeneinander mit ausgestreckten Armen treiben, sodass sich unsere Fingerspitzen fast berühren. Ich blicke wie hypnotisiert in die Tiefe. Alles lebt. Der Meeresboden ist ein wechselndes Muster aus wogendem Seegras und Treibsand. Durch die Wiesen aus Seegras zieht ein silberner Strom winziger Fische, keiner davon ist größer als mein Daumen. Aber noch etwas bewegt sich durchs Wasser, ein Lebewesen, von dem ich zwar gehört,
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