Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)
bisher noch nie gesehen«, sagt er.
Ich schaue ihn an und nicke. »Das gibt’s nicht nur hier«, sage ich, »das geht weiter und weiter. Dort unten ist ein ganzes Korallenriff und eines Tages werd ich runtertauchen und mir das alles angucken.« Ich habe meine Pastete aufgegessen und schüttle die Krümel vom Handtuch. »Mum hat gesagt, wenn ich sechzehn bin, kann ich lernen, mit einem Sauerstoffgerät zu tauchen. Sie hat gesagt, dass sie mich dann zum Riff mitnimmt. Also, falls es bis dahin noch existiert.«
Felix rutscht neben mich und lehnt sich an Moanas Holzverschalung. »Warum sollte es nicht mehr existieren?«
»In einer Woche wird das Fangverbot für Schleppnetze aufgehoben«, erkläre ich. »Dann kommen Fangschiffe aus allen Küstenregionen und ziehen ihre Eisenrechen über den Meeresboden, um Jakobsmuscheln zu ernten. Damit reißen sie nicht nur die Muscheln heraus, sondern alles andere gleich mit, alles, was du heute gesehen hast. Da bleibt nichts übrig.«
Felix stopft sich den letzten Rest seiner Pastete in den Mund und lutscht die Finger ab. »Dann halt sie auf«, sagt er.
»Du hast leicht reden«, antworte ich wütend. »Was kann ich denn schon tun? Einfach hier draußen im Schlauchboot sitzen und ihre Trawler zurückschicken?«
Felix reibt sich mit dem Handtuch die Haare. »Ich weiß nicht«, sagt er, »aber wenn mir das so viel bedeutet, dann würde ich nicht kampflos aufgeben.«
Ich ziehe abgebrochene Weidenruten aus dem ramponierten Hummerkorb. »Du kennst Dougie Evans nicht. Niemand kann ihn aufhalten. Niemand.«
»Wer ist das?«
»Der Mann, den du gesehen hast, der Mann, der unsere Hummerkörbe zertrümmert hat«, sage ich, »genau der.«
»Warum hat er es denn auf euch abgesehen?«
Ich schnipse die Stücke ins Wasser. Keine Ahnung, wie viel Felix über mich und meinen Dad weiß. »Mum hat das Schleppnetzverbot auf den Weg gebracht und dafür ein Projekt durchgesetzt, mit dem das Riff zehn Jahre lang erforscht werden sollte«, sage ich. Ich setze mich auf die Bank und blicke aufs Meer. »Aber sie hat ihre Forschungen nie beenden können. Die Zeit hat nicht gereicht und das Geld auch nicht. Deswegen hat man das Verbot aufgehoben. Sie wird also nie ihre endgültigen Forschungsergebnisse vorstellen können.«
»Also hat sich Dougie Evans über das Fangverbot nicht gerade gefreut?«, sagt Felix.
Ich nicke. »Er meinte, Mum wäre eine dahergelaufene Grüne und könne ihm keine Vorschriften machen. Aber alle Fischer in der Umgebung waren auf ihrer Seite, besonders nachdem sie herausgefunden hatte, dass Dougie Evans seinen Fisch als Langleinenfang verkaufen wollte.«
»Was macht das für einen Unterschied?«, fragt Felix.
»Langleinenfang ist teurer, aber die Leute wären bereit, mehr zu zahlen, weil das die Delfine schützt. Hunderte von Delfinen ertrinken jedes Jahr in Schleppnetzen.«
»Also hasst er euch, weil deine Mum herausgefunden hat, dass er ein Betrüger ist?«, fragt Felix.
»Es ging nicht nur darum«, sage ich. »Dougie hatte einen zweiten Sohn, Aaron. Er war siebzehn, als er bei einem heftigen Sturm auf einem von Dougies Fangschiffen von Bord gerissen wurde. Dougie hat Mum beschuldigt und gesagt, dass sein Sohn heute noch leben würde, wenn er, Dougie, näher am Strand hätte fischen können, dort, wo das Riff ist.«
Felix lacht kurz auf. »Und meine Mum glaubt, London wäre ein gefährliches Pflaster! Sie dachte, wir wären in ein verschlafenes und friedliches Fischernest gezogen. Ich glaube, sie wird sich ganz schön wundern.«
Kapitel 15
Eine leichte Brise treibt uns nach Hause. Felix darf das Ruder übernehmen. Das goldene Licht der Nachmittagssonne senkt sich über die Bucht. In der Hoffnung, den weißen Delfin zu sehen, blicke ich ins Wasser. Ein- oder zweimal bilde ich mir ein, etwas Weißes unter den Bugwellen auszumachen. Ich wollte, er wäre hier, weil das vielleicht bedeuten könnte, dass wir die Moana behalten. Aber stattdessen sehe ich nur vorüberziehende Wolken, die sich auf der Oberfläche des Wassers spiegeln.
Mrs Andersen wartet an der Kaimauer auf uns. Sie hat sich den Schal um die Hand gewunden und winkt uns zu, als wir durch die Einfahrt zu den Tiefwasser-Liegeplätzen gleiten. Mr Andersen winkt zurück. Felix lächelt und zeigt ihr ein Daumenhoch.
Der Wasserstand ist zu niedrig, um die Moana zu ihrem Liegeplatz am Ponton zu steuern, also geht Dad längsseits der Fangschiffe und des Rettungsboots vor Anker.
»Wir helfen euch dabei, die Segel
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