Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)
ziehe eine Rettungsweste über und halte mich gut fest. Dann wirft Carl den Motor an und steuert das Boot aus der Bucht, hinaus in Wind und Wogen.
Die Mutter folgt uns, drückt sich dabei fast gegen die Bootswand und hebt den Kopf über Wasser, um das Kalb zusehen. Sie pfeift, gibt Schnalzlaute von sich und klatscht mit der Schwanzflosse kräftig aufs Wasser. Ich würde gern wissen, was der Delfin damit zu sagen versucht und ob er begreift, was wir tun wollen.
»Die Mutter ist auch verletzt«, sage ich.
Carl beschattet seine Augen und blickt gegen das Sonnenlicht. Am Schaft der Rückenflosse befindet sich eine tiefe, v-förmige Kerbe. Die Ränder sind wund und von geronnenem Blut bedeckt. »Ich glaub nicht, dass es so schlimm ist, wie es aussieht«, sagt er. »Das ist nur eine oberflächliche Wunde. Die dürfte verheilen.«
Als wir die Hafeneinfahrt passieren, drosselt Carl die Geschwindigkeit. »Über den Seeweg kommen wir nicht zum Blauen Bassin«, sagt er, »bei Ebbe gibt’s dort zu viele Felsen. Wir müssen das Tier von hier aus über Land transportieren.«
Das Muttertier folgt uns. Seine Rückenflosse schweift durchs Wasser, als ob wir es im Schlepptau hätten. Trotz des Gestanks nach Öl und Diesel, trotz des Gedröhnes des Außenbordmotors, das zwischen den Hafenmauern auch unter Wasser widerhallen dürfte, bleibt das Tier weiter in unserer Nähe.
Wir haben immer noch Niedrigwasser. Die Unterseite des Bootes schrammt über Schlamm und Steine. Am Fuß der Helling zieht Carl das Boot an Land, dort, wo der Beton von Seepocken überwuchert und von Seetang und Algen ganz grün ist.
»Ich hol meinen Pick-up«, sagt Greg, »und dann transportieren wir den Delfin über Land zum Blauen Bassin.«
Carl nickt. Er macht einen Lappen nass und träufelt das Wasser über den Rücken des weißen Delfins. Das Muttertier taucht im tieferen Wasser auf und stößt einen Schwall Luft aus dem Blasloch. Der weiße Delfin macht es seiner Mutter nach. Mit dem Pffwuuuusch ihrer Atemstöße rufen sie sich gegenseitig und lassen sich wissen, dass sie noch da sind.
»Wie soll die Mutter denn ahnen, wohin wir ihr Kalb bringen?«, frage ich Carl.
Er zuckt mit den Schultern. »Möglicherweise ist das Ganze gerade deshalb keine gute Idee. Der Trennungsstress könnte zu viel für die Mutter sein.«
Gregs Transporter stößt rückwärts die Helling hinunter. Zwei weitere Freiwillige des Marine Life- Rettungstrupps laufen längsseits. Greg wirft die Fahrertür zu und entriegelt die Heckklappe seines Pick-ups. »Die Tierärztin und noch ein paar Freiwillige warten am Bassin auf uns«, sagt er.
»Gut«, nickt Carl, »bringen wir das Tier hin.«
Carl hilft Felix aus dem Boot und ich steige ebenfalls aus. Wir treten zurück, damit die Rettungshelfer den weißen Delfin auf den Lastwagen hieven können. Das Kälbchen liegt auf Schaumstoffmatratzen, eingezwängt zwischen Gregs Krabbenkörben und zusammengelegten Netzen.
Carl wendet sich an Dad und Mr Andersen und nickt in unsere Richtung. »Ich denke, ihr solltet die Kinder nach Hause bringen«, sagt er. »Die beiden müssen sich aufwärmen.«
»Mir geht’s gut«, sage ich, stecke die Hände unter dieAchseln, damit sie warm werden und niemand sieht, dass die Finger schon blau sind. Meine Füße sind vor Kälte ganz taub.
»Mir geht’s auch gut«, sagt Felix.
Mr Andersen legt den Arm um Felix. »Schau dich doch mal an. Du zitterst und dir ist saukalt.«
Ich stelle den Fuß auf die Anhängerkupplung. Ich will neben den weißen Delfin klettern und mit ihm zum Blauen Bassin fahren. »Ich muss mit dir kommen, Carl«, sage ich.
Carl hält mich zurück. »Nicht jetzt«, sagt er. »Die Tierärztin braucht Zeit, um das Tier zu begutachten und zu entscheiden, was zu tun ist.«
»Ich muss mitkommen.«
Carl zieht sich hoch und setzt sich neben den Delfin. »Ich ruf deinen Dad heute Abend an und lass dich wissen, was geschieht.«
Greg lässt den Motor aufheulen. Der weiße Delfin wirft die Schwanzflosse hin und her und stößt einen Schwall Luft aus dem Blasloch.
Ich nehme meinen Fuß nicht von der Anhängerkupplung. »Lasst das Kälbchen nicht sterben, Carl. Bitte, lasst es nicht einschläfern!«
Carl senkt den Blick und schüttelt den Kopf. »Das kann ich nicht entscheiden, Kara.«
Ich lege meine Hände auf das Gesicht des Kälbchens und blicke ihm ins Auge. Aber es schaut an mir vorbei zu seiner Mutter und zum fernen, blauen Horizont, weit draußen hinter den Hafenmauern.
Carl packt
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