Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)
ich nicht gekommen wäre …«
Dad seufzt und schüttelt den Kopf. »Du kannst nicht einfach davonlaufen. Ich muss wissen, wo du bist.«
»Ich sage dir Bescheid, Dad, das nächste Mal …«
»Halt mal«, sagt Carl. Er reicht mir das Ende eines Maßbandes. »Du bleibst am Kopfende, Kara. Seiner Schwanzflosse möchtest du lieber nicht im Weg stehen.«
Wir messen den Delfin von der Schnauze bis zur Schwanzflosse. Carl holt aus einer schwarzen Tasche Klemmbrett und Stift. »Einhundertundsechzig Zentimeter«, sagt er. »Es kann nicht viel älter sein als ein Jahr. Vielleicht wird es sogar noch von seiner Mutter gefüttert.«
Felix deutet aufs Wasser. »Die Mutter ist dort draußen und wartet auf ihr Kind.«
Carl nickt und notiert etwas auf sein Klemmbrett. »Wir haben sie gesehen, als wir reingefahren sind.«
Auch Greg geht in die Hocke, um den weißen Delfin zu untersuchen. Er presst seine Hand gegen die Flanken des Tieres. Als er sie wieder wegnimmt, bleibt auf der Haut ein Abdruck zurück. Greg schüttelt den Kopf. »Kein gutes Zeichen. Sie ist extrem dehydriert.«
Carl schaut auf seine Uhr. »Die Atemfrequenz ist auch hoch. Zehn Atemzüge pro Minute. Eigentlich sollten es vier oder fünf sein.« Er setzt sich auf die Fersen und reibt sich am Kinn.
Ich mache meine Finger nass und streiche über das weiße Gesicht des Kälbchens. Es blinzelt und sieht mich an. »Was werden wir tun, Carl?«
Carl fährt sich mit der Hand durchs Haar. »Flößen wir ihm mit der Magensonde etwas Flüssigkeit ein, bis die Tierärztin kommt.«
Greg nickt. »Damit wird’s ihm besser gehen. Aber ich glaub nicht, dass die Tierärztin viel tun kann.«
Mein Mund wird trocken. »Warum glaubst du das?«
Carl schaut zuerst Greg an und dann mich. Er spricht in sanftem Tonfall, aber das ändert nichts an seinen Worten. »Die Verletzungen sind schlimm, Kara. In diesem Zustand kann das Kälbchen keinen Fisch fangen und ich bezweifle auch, dass es an seiner Mutter saugen kann. Das Tier würde sterben, wenn wir es freiließen.«
Er zieht einen langen, durchsichtigen Schlauch aus der Tasche.
»Du meinst, die Tierärztin wird es einschläfern?«, frage ich.
Carl schaut hoch und nickt. »Tut mir leid, Kara. Ich glaube nicht, dass sie eine andere Wahl hat.«
Ich stehe auf und rücke von ihm weg. »Aber die Mutter wartet auf ihr Kälbchen!«
Dad umarmt mich. »Ich weiß, das ist hart, aber Carl hat recht. Es wäre grausam, das Tier zurück ins Meer zu lassen.«
Ich drücke Dads Hand weg und funkle Carl an.
Carl geht direkt neben dem Kopf des weißen Delfins in die Hocke und schaut zu mir hoch. »Du hast das wirklich gut gemacht, Kara. Ihr beide, du und Felix, habt alles richtig gemacht.«
Ich schaue ihn missmutig an. »Das ist doch jetzt egal.«
»Für das Tier nicht«, sagt er. »Dank eurer Hilfe muss es weniger leiden.«
Carl nimmt mit dem Magenschlauch an der Flanke des Delfins Maß und schiebt ihn dann ins Maul. Als der Schlauch über die geschwollene Zunge fährt, schüttelt das Kälbchen den Kopf.
»Du tust ihm weh!«, sage ich.
Carl antwortet nicht und lässt die Augen nicht vom Delfin, bis sich der Schlauch in der richtigen Position befindet. Er steht auf und hält den Flüssigkeitsbeutel in die Höhe. Ich sehe zu, wie sich der Flüssigkeitspegel im Beutel immer weiter senkt. Ich stehe da, starre Carl an und kann einfach nicht glauben, dass es nichts gibt, was sie noch tun könnten.
Carl blickt kurz zu Greg. »Du könntest doch das Grüppchen zurück zum Hafen bringen und dort gleich die Tierärztin einladen.«
»Ich geh hier nicht weg«, sage ich.
Felix lehnt sich zurück und gräbt die Hände tief in den Sand. »Ich bleib auch.«
Carl drückt den Kopf an den Flüssigkeitsbeutel. »Das wollt ihr nicht wirklich …«
»Komm schon, Kara«, sagt Dad. Er steckt die Hand unter meinen Arm. »Ich glaube, es ist besser so.«
»Das gilt auch für dich«, sagt Mr Andersen zu Felix. »Ihr habt getan, was ihr konntet.«
Ich ziehe mich von Dad zurück, knie mich neben den Delfin und streichle ihm den Kopf. Das Kälbchen beobachtetmich so intensiv, dass sich in meinem Kopf ein Gedanke festsetzt. Ich glaube, es will unsere Hilfe. Ich weiß, dass es nicht sterben will.
Ich schaue Carl an. »Es muss etwas geben, was wir tun können.«
Auch Felix kniet sich neben das junge Tier. »Warum können wir es nicht auf eine Rettungsstation bringen, wo es wieder aufgepäppelt wird? In Amerika machen sie so was.«
»Hier haben wir keine
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