Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)
mich am Arm. »Lass los, Kara.«
Ich nehme die Hände weg und sehe zu, wie der Truck losfährt und im Verkehr auf der Hafenstraße verschwindet.
Ich hasse das. Ich hasse sie dafür, dass sie das Kälbchen auf diese Weise von seiner Mutter getrennt haben. Ich fühle mich so, als hätte ich es irgendwie verraten.
Das fühlt sich schlimmer an, als wenn wir es wieder ins Meer hätten schwimmen lassen.
Kapitel 20
Daisy bestreicht ein Brötchen dick mit Marmelade. »Schauen wir uns heute den Delfin an?«
Ich lege die Finger auf die Lippen. Tante Bev bereitet gerade eine Kanne Tee zu. »Wir müssen jetzt gehen«, flüstere ich, »vor der Schule.«
Daisy nickt und verschlingt hastig ihr Brötchen.
Gestern Abend saß sie mit großen Augen in ihrem Bett, während ich ihr alles über den Delfin erzählte. Als ich sagte, dass Felix auch dabei gewesen ist und mitgeholfen hat, verfinsterte sich ihr Gesicht. Ich habe ihr versichert, dass er wirklich in Ordnung ist und dass er an dem Tag, als wir ihn im Café getroffen hatten, einfach wütend war. Aber das schien für Daisy keine Rolle zu spielen. Sie hatte bereits ihr Urteil über ihn gefällt.
Ich werfe meine Tasche über die Schulter und warte an der Tür auf Daisy.
Tante Bev hat die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen und sieht mich an. »Du bist aber früh dran.«
»Muss noch ’n paar Hausaufgaben abgeben«, sage ich.
»Ihr plant doch nicht etwa, zu diesem Delfin zu gehen?«, fragt sie.
Ich zucke mit den Schultern. »Delfin?« Ich werfe Daisy einen kurzen Blick zu, aber sie ist bereits rot angelaufen und blickt zu Boden.
Tante Bev verschränkt die Arme. »Den Delfin, über den Jim gestern am Telefon gesprochen hat, als ihr schon im Bett wart.«
»Und was hat er gesagt?«
»Ich weiß es nicht«, sagt Tante Bev. »Ich hab nicht alles gehört.«
»Ich will nur wissen, ob alles in Ordnung ist«, sage ich.
»Ihr beide geht direkt zur Schule. Du hast schon genug Schwierigkeiten und ich will nicht, dass Daisy auch noch Probleme bekommt.« Sie packt ihre Handtasche und die Hausschlüssel. »Genau genommen bringe ich euch zur Schule.«
Es hat keinen Sinn, mit ihr darüber zu diskutieren. Dad arbeitet in der Frühschicht, also kann ich ihn nicht fragen.
Auf dem Weg zur Schule versuche ich immer wieder, einen Blick aufs Kap zu erhaschen, aber das Bassin liegt unterhalb der Klippen versteckt. Gregs Pick-up steht auf dem Parkplatz am Kap, also kann ich nur hoffen, dass er und Carl dort sind und der Delfin noch lebt.
Den ganzen Tag kann ich mich auf nichts konzentrieren. Felix ist in Mathe und Englisch inzwischen in der Leistungsgruppe, deshalb kann ich ihn nur in der Pause treffen.
Er spricht vor dem Schulkiosk mit zwei Mädchen aus unserem Jahrgang, aber als er mich sieht, reißt er sich von ihnen los. Ich setze mich neben ihn auf eine der Holzbänke am Schulhof. »Wie geht’s dem Delfin?«
Felix nestelt an einer Schokoladenverpackung herum und reißt sie an einer Ecke mit den Zähnen auf. »Carl hat angerufen – der Delfin lebt noch«, sagt er. »Sie brauchen freiwillige Helfer, die das Kälbchen auf eine Art Rettungsinsel verfrachten, bis es wieder alleine im Wasser zurechtkommt. Dad macht eine Zwei-Stunden-Schicht und holt mich dann zum Mittagessen ab.«
»Nach der Schule könnte ich dich dort treffen«, sage ich. »Vielleicht lässt uns Carl ja helfen.«
»Ja, das wäre cool«, sagt Felix und hält mir die Schokolade hin. »An meiner letzten Schule konnte man wegen Schokoladenessen von der Schule fliegen.«
Ich stopfe mir zwei große Stücke in den Mund. »Nie im Leben!«
Felix grinst. »Schokolade war verboten. Als Imbiss waren nur Müsliriegel und Karottenstäbchen erlaubt.« Er schaufelt den Rest der Tafel in den Mund. »Ich glaube, mir könnte es hier gefallen.«
Nach der Mittagspause verfolge ich die Zeiger der Uhr über dem Lehrerpult. Ganz langsam rücken sie vorwärts und vorwärts und vorwärts. Ich bin neidisch auf Felix, weil er schon am Blauen Bassin sein wird. Als die Schulglocke läutet, binich als Erste draußen vor den Toren. Ich renne zu Daisys Schule und packe Daisy, sobald ich sie sehe. Fast zerre ich sie die Straße hinunter. Ich kann’s kaum erwarten, zum Delfin zu kommen.
»Na los!« Ich werfe mir ihre Tasche über die Schulter. »Wir müssen uns beeilen!«
Die Flut steht zu hoch, um über den Sandstrand zum Blauen Bassin zu gelangen. Deshalb renne ich mit Daisy die Küstenstraße entlang. Der Parkplatz am Kap steht jetzt voller
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