Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)
Ecke platzieren, verstummt das Stimmengemurmel. Auch der örtliche Radiosender ist da, um live über das Treffen zu berichten.
»Wo ist Felix?«, flüstere ich. »Er sollte schon längst hier sein.« Ich blicke über die Schulter in den überfüllten Saal. Vielleicht kann Felix sich nicht durch die Menge drängen. Ich stehe auf, um nachzusehen, aber Dad zieht mich wieder auf den Stuhl zurück.
»Gleich spricht Carl«, flüstert Dad.
Carl steigt die Stufen zur Bühne hoch, dreht sich um und wendet sich den Leuten zu.
Im Saal wird es mucksmäuschenstill. Man hört nur ein paar Stühle rücken und irgendwo hinten weint ein Baby. Ich schaue Carl an. Er sieht so anders aus mit Anzug und Krawatte. Sein Haar ist gebürstet und er trägt eine dünne Goldrandbrille. Er tritt von einem Fuß auf den anderen. Außerdem ist er blass. Ich kann hören, wie die Notizblätter in seiner zitternden Hand rascheln.
Ich drücke ihm beide Daumen.
Es fängt nicht gut an. Das Mikrofon funktioniert nicht und Carl spricht so leise, dass ihn die Leute in den hinteren Reihen wahrscheinlich überhaupt nicht hören können. Sonnenlicht fällt schräg durch die Fenster und irgendjemand muss die Vorhänge zuziehen und das Licht löschen, damit man auf dem Bildschirm hinter Carl etwas erkennen kann.Als Carl Fotos von Angel zeigt, hören die Leute zu. Beim Anblick der Verletzungen in ihrem Maul bleibt manchem die Luft weg. Seufzer der Erleichterung sind zu hören, als man sieht, wie sie ihren ersten Fisch verspeist.
Dann aber beginnt Carl über die Bucht zu reden und über das Projekt zur Rettung des Korallenriffs. Er zeigt Grafiken und Kuchendiagramme und spricht über die verschiedenen Gesteinsarten unter Wasser. Er verwendet die lateinischen Namen verschiedener Seetiere und Pflanzen und hält Bruchstücke von Korallen in die Höhe. Ich weiß, dass die Leute in den hinteren Reihen das gar nicht sehen können. Niemand hört wirklich zu. Sie wollen nur etwas über Angel wissen.
Als Carl seinen Vortrag beendet hat, gehen die Lichter an. Er bittet um Fragen aus dem Publikum. Irgendjemand will wissen, wo man den Delfin freilässt. Jemand anderes fragt, ob der weiße Delfin seine Hautfarbe wechselt. Aber niemand interessiert sich fürs Riff. Aus den Augen, aus dem Sinn. Dann steht Dougie Evans auf. Er geht auf die Bühne, hält seine Mütze in der Hand und stellt sich neben Carl. Er schaut die Leute an und er trägt seine älteste Kleidung. Sie sieht verschlissen und schäbig aus.
»Es ist gut, dass heute so viele Leute hier sind«, sagt er, »Touristen und auch Einheimische.«
Seine Stimme hallt durch den Saal. Er setzt ein lässiges Lächeln auf, aber mich hält er nicht zum Narren.
Er breitet die Arme weit aus. »Ich hoffe, ihr alle genießt eure Zeit hier. Aber unser schönes Städtchen ist nicht nurdazu da, damit am Strand Sandburgen gebaut und Ferien gemacht werden. Von diesem Hafen aus wird schon seit Jahrhunderten gefischt. Das ist unsere Existenzgrundlage. Wenn die Touristen wieder gehen, müssen wir immer noch unseren Lebensunterhalt bestreiten.«
Jeder spitzt jetzt die Ohren. Es fällt schwer, nicht zuzuhören. Dougie Evans hat irgendetwas an sich, das die Leute fesselt. Ich werfe einen Blick durch den Saal und sehe, wie Jake selbstgefällig lächelt.
»Entlang dieser Küste gibt es eine Menge Riffe«, fährt Dougie fort, »genügend Riffe für alle von uns. In unserer Bucht holen wir Jakobsmuscheln aus dem Meer, so, wie die Bauern ihre Felder pflügen.«
Im Saal ist es still. Ich sehe mich um. Alle Augen sind auf Dougie gerichtet.
Er legt die Faust an die Brust. »Die Fischerei ist das Herz dieser Stadt«, ruft er aus. »Sie ist es immer gewesen. Also, wenn ihr weiterhin die frischesten Jakobsmuscheln auf eurem Teller haben wollt, dann müsst ihr uns auch unterstützen. Unterstützt die Fischer! Und unterschreibt nicht die Petition für das Fangverbot!«
Das Stimmgemurmel schwillt an. Eine Beifallswoge rollt über die Köpfe der Menschen, von vorne nach hinten. Nicht nur einige der Fischer applaudieren, auch Touristen sind darunter. Dougie Evans verbeugt sich kurz und geht wieder hinunter zu seinem Platz.
»Sag was, Carl!«, murmle ich vor mich hin. Carl jedochsteht einfach da und scharrt mit den Füßen, während Dougie siegesgewiss grinst.
»HALT!«
Die Köpfe drehen sich nach hinten, dorthin, von wo der Schrei ertönt. Dougie Evans späht durch den Saal, um zu sehen, wer da ruft. Auch ich drehe mich um. Stühle rücken
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