Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)
und Füße schlurfen, als die Leute den Mittelgang für Felix freiräumen.
Felix bleibt vor mir stehen und hält den Memorystick fest in der Hand. »Kara, ich hab etwas gefunden, etwas sehr Wichtiges.«
»Was?«, frage ich.
Stimmen werden laut. Inzwischen ist es im Saal schwülwarm. Es gibt nichts, was die Leute hier noch halten könnte. Hinten im Saal stehen die Ersten auf, um zu gehen.
Felix blickt auch sie an. »Du musst mir etwas Zeit verschaffen. Halt sie zurück! Geh auf die Bühne und sag was, erzähl ihnen über die Bucht, was du willst. Zwei Minuten, mehr brauch ich nicht. Sag ihnen, dass sie gleich verstehen werden, was sie verlieren können.«
Ich schüttle den Kopf. »Ich kann nicht.«
Felix funkelt mich an. »Tu’s einfach!«
Er läuft den Gang entlang nach hinten.
Nie zuvor stand ich vor einer Menschenmenge wie dieser. Hinten stehen noch mehr Leute auf, um den Saal zu verlassen. Ich weiß nicht, was Felix herausgefunden hat, aber ich darf diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen. Ich steige zurBühne hoch und schaue ins Publikum. Ich weiß noch nicht einmal, was ich sagen werde. Unzählige Augen starren mich an. Mir ist übel und schwindelig. Jake verzieht den Mund zu einem spöttischen Grinsen. Auch Dougie Evans beobachtet mich. Seine Augen durchbohren mich förmlich. Ich schaue mir die Wände der Aula an und betrachte das Wandgemälde mit den traditionellen Fischern, mit Fischerbooten und Netzen und Fässern voller Pökelfisch.
»Dougie Evans hat recht«, sage ich. Meine Stimme platzt viel lauter aus mir heraus als erwartet. Im Saal ist es still, die Leute lauschen. Einige Besucher setzen sich wieder. »Die Fischerei ist das Herz dieser Stadt.« Ich schaue um mich. Das ist meine große Chance. »Das Boot, das meine Mum und mein Dad wieder hergerichtet haben, ist von diesem Hafen aus vor hundert Jahren zum Fischfang ausgelaufen. Und es ist jedes Mal randvoll mit Sardinen und Heringen zurückgekommen. Das Boot war so voll, dass der Fisch über den Bootsrand schwappte, zurück ins Meer.« Ich hole tief Luft. Meine Kehle ist trocken wie Sägemehl. Ich gucke mich um und nehme Dougie Evans ins Visier. »Aber jetzt ist das vorbei. Wir haben unsere Meere leer gefischt. Die Trawler von Dougie Evans müssen immer weiter fahren und ihre Fangnetze müssen immer tiefer hinabgelassen werden, um Fisch zu finden, und selbst dann kommen die Trawler manchmal ohne Fang zurück. Und nun durchpflügen wir unsere Bucht wegen der Jakobsmuscheln und zerfetzen dabei das Riff. Ich frage mich, ob wir in hundert Jahren hier über haupt noch fischen.« Ichwerfe einen Blick über den Saal. Keine Spur von Felix, aber ich erinnere mich wieder daran, was ich sagen sollte. »Ihr werdet gleich verstehen, was wir verlieren können.«
Nun stehe ich hier. Die Leute schweigen und ich sehe mich um. Ich weiß nicht, was jetzt passieren soll. Ich gehe die Treppe nach unten und setze mich neben Dad.
Die Lichter im Saal gehen aus.
Der ganze Raum hält den Atem an.
Eine helle, klare Stimme durchschneidet die Stille. Ich muss mich am Stuhlrand festhalten. Mir wird schwindelig. Ich spüre, wie ich nach vorne kippe.
Es ist Mums Stimme, die da durch die Dunkelheit hallt.
Kapitel 28
»Erlauben Sie mir, Sie auf eine Reise durch unsere letzte großartige Wildnis mitzunehmen, an einen Ort mit Bergen und tiefen Tälern. Dennoch liegt dieser Ort nicht in einem fernen Land, sondern hier, hier unter der Oberfläche unseres kalten Atlantischen Ozeans.«
Dad fasst mich an der Hand. Im Saal ist es still. Zuerst ist die riesige Videoleinwand auf der Bühne dunkel. Dann wird ein schwacher, grünlicher Schimmer im Zentrum des Bildschirms immer heller und heller und wir steigen nach oben, zur Sonne hin, die durch die Oberfläche des Meeres nach unten strahlt. Leuchtend helle Algenwedel ranken sich zum Licht empor. Ein Seehund schwimmt zur Kamera hinauf und berührt mit seiner Schnauze fast die Linse. Das sieht so aus, als schaute er jeden im Saal persönlich an. Seine großen Hundeaugen sind schokoladenbraun. Er schnaubt, Luftbläschen steigen in die Höhe, und sein grauer Körper gleitet mit angelegten Flossen davon. Auch wir schlängeln uns durchs Wasser, tiefer und tiefer und tiefer, durch Bündel gewellter Lichtstrahlen, vorbei an mit rosa und grünen Seeanemonen geschmückten Felsen. Noch tiefer streifen wir Korallenhügel und Federsterne und Seefächer.
Das muss der letzte Film gewesen sein, den Mum hier in der Bucht gedreht hat.
Ihre
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