Im Zeichen des weißen Delfins (German Edition)
Stimme führt uns in dunkelgrüne Unterwasserlandschaften, voller Felsen, die von zartrosa Korallen und gelben Schwämmen überwachsen sind. Mittendrin schwebt ein vom Kameralicht angestrahlter, leuchtend blau und gelb gemusterter Kuckuckslippfisch. Eine purpurne Meeresschnecke kriecht durch ein Feld aus rötlichem Seetang. Unter dieser Welt wimmelt es am felsigen Meeresboden von Korallen und Seeigeln. Eine Teufelskrabbe trippelt vorbei. Alles kreucht und fleucht.
Plötzlich aber fegt ein Geräusch durch den Saal, als ob etwas zerreißen würde. Auf der Videoleinwand wechselt die Szene. Das Bild ist ausgefüllt von Eisenketten und Wogen aus Schlamm und Sand. Als sich der Schlamm setzt, bleibt nichts zurück als ein steiniger, von zerrissenen Hornkorallen übersäter Meeresboden. Im Saal ist es mucksmäuschenstill.
Das letzte Mal ist Mums Stimme zu hören.
»Wenn wir unsere Ozeane nicht schützen, wird nichts zurückbleiben als Ödland.
Wir sind keine Meeresbauern. Wir haben nie gesät, wir ernten nur.«
Die Lichter gehen an. Niemand spricht. Wir alle sind eben aus einer anderen Welt zurückgekehrt und in unseren Gedanken sind die Bilder noch lebendig. Mums Stimme schwirrt noch durch meinen Kopf. Carl klettert wieder auf die Bühne.Er hält seine Notizen fest und will gerade anfangen zu reden, da beginnt sich ein kleiner Applaus in den hinteren Rängen nach vorne zu einer wahren Beifallswoge auszuweiten. Mein Blick schweift durch den Saal. Einige der Fischer nicken. Andere starren einfach wie gelähmt auf die Leinwand. Nur Dougie Evans sitzt auf seinem Stuhl und hat die Arme fest vor der Brust verschränkt. Von der gegenüberliegenden Seite funkelt mich Jake wütend an. Ich drehe mich weg. Ich will mir diesen Augenblick nicht verderben lassen. Noch einmal habe ich Mums Stimme gehört und möchte sie tief in mir festhalten. Festhalten und für immer dort bewahren.
»Tut mir leid, dass ich dich nicht vorwarnen konnte«, sagt Felix. »Dazu war keine Zeit.«
Ich kremple die Hosenbeine meiner Jeans hoch und stecke die Füße in das Bassin. Angel schwimmt, zur Seite geneigt, an mir vorbei und beobachtet mich mit ihrem kleinen Auge. Ich strecke meine Beine aus und sie lässt mich mit den Zehen an ihrem weichen, warmen Körper vorüberstreifen.
»Wie hast du’s rausgefunden?«, frage ich.
Felix sitzt neben mir auf dem Fels und hat den Memorystick in der Hand. »Tepuhi« , sagt er. »Ich hätte eher draufkommen sollen. Das ist der Name der Maori für Delfin. Und das ist auch das Passwort, das deine Mum für den Memorystick benutzt hat.«
Ich nehme den Stick in die Hand und spüre mit den Fingern der Delfinform nach. Irgendwie seltsam, dass dieses Ding eineErinnerung an Mum festhält, einen Schnappschuss aus der Vergangenheit, als würde es damit gleichzeitig einen Teil ihrer Seele festhalten. »War sonst noch was auf dem Stick?«
»Nicht viel mehr«, brummelt er.
Ich will ihn gerade fragen, was er unter »nicht viel mehr« versteht, da setzt sich Carl neben uns.
»Ich bin froh, dass das vorbei ist«, sagt er. Die Krawatte hängt ihm lose um den Hals und seine gebügelten Hosen sind zerknittert. Er fährt sich mit der Hand durchs Haar. »Ohne euch hätte ich das nicht geschafft.«
»Glaubst du, das bewirkt was?«, frage ich.
»Wir haben massenhaft Unterschriften«, sagt er. »Ich habe Hunderte von Namen gezählt.«
»Was ist mit den Fischern?«
»Weiß nicht«, sagt Carl. »Ich schätze mal, das werden wir früh genug erfahren.«
Angel schwimmt wieder an uns vorbei und schlägt mit der Schwanzflosse aufs Wasser. Ich strecke meinen Arm aus, um ihr mit der Hand über den Kopf und die höckrige Narbe an der Schnauze zu fahren.
Carl runzelt die Stirn. »Sie wird zu abhängig von uns«, sagt er, »und um ihre Mutter machen wir uns auch Sorgen. Heute waren eine ganze Menge Boote draußen in der Bucht. Sie könnte durch die Schiffsschrauben verletzt werden.« Er steht auf, um sich das Wasser von den Hosen zu wischen, und geht dann neben mir und Felix in die Hocke. »Ich sollte euch das nicht sagen, weil das sonst niemand wissen muss …«
Mein Herz sinkt, weil ich genau weiß, was er jetzt sagen wird. »Ihr wollt sie freilassen, stimmt’s?«
Carl nickt. »Sam glaubt, dass sie so weit ist. Aber wir wollen hier natürlich keine Volksmassen, wenn wir’s tun.«
Angel hebt den Kopf aus dem Wasser. Das sieht so aus, als würde sie uns zuhören. Klar wünsche ich mir, dass sie wieder ins Meer zurückkehrt, aber
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