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Im Zug (German Edition)

Im Zug (German Edition)

Titel: Im Zug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Lammers
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sprang auf, wurde aber sogleich sowohl von dem Zivilisten als auch von dem Polizeibeamten festgehalten. Das löste unvermeidlich einen wilden, hysterischen Anfall aus, und alle klaren Äußerungen gingen in dem durchdringenden, tränenuntermalten Geschrei der Ukrainerin unter, die sich gar nicht wieder beruhigen wollte.
    Gleichzeitig versuchte Helen, dem durch und durch verstörten Mannequin zu erklären, dass es sich doch keine Sorgen um das kleine Mädchen machen musste. „Hören Sie … Victoria geht es gut. Ich habe sie eben noch gesehen …“
    Sie hätte auch taubstumm sein können.
    Niemand hörte sie, und das lag durchaus nicht nur an dem Geschrei, das Antonia Mariakis angestimmt hatte und das nun in ein lautes Klagegeheul überging, als sie sich aus dem festen Griff der Männer nicht befreien konnte.
    Für Helen aber wurde die Situation vollends zum Alptraum.
    Niemand hörte sie sprechen.
    Niemand sah sie.
    Jetzt war es an Helen Edwards, entsetzt um sich zu stieren, zu stammeln. Schließlich zu schreien. „Seht ihr mich denn nicht? Ich bin hier! HIER! Helen Edwards! Ich … ich bin Historikerin, ich war in diesem Zug … ich habe Victoria, ich meine, das kleine Mädchen … ich habe sie gefunden und … und …“
    Sinnlos.
    Die beiden Männer bemühten sich lediglich, die schreiende und schluchzende Ukrainerin zu besänftigen und wieder hinzusetzen. Niemand würdigte Helen auch nur eines Blickes.
    Gott, war das furchtbar!
    „ Holen Sie Stephens! Beeilen Sie sich. Er soll seine Tasche mitbringen!“, befahl der Polizist hastig. „Und Sie, gute Dame, beruhigen sich bitte … hören Sie, wir tun unser Möglichstes, um Ihr Kind … hören Sie, bitte …!“
    Aber ebenso wie Helen hatte die Mutter inzwischen offenbar sehr genau begriffen, was passiert war, was geschehen sein musste und wie die Nachricht lautete, die sie letzten Endes erhalten würde. Voller Gram schlug sie die Hände vors Gesicht und begann nun auf eine Weise herzzerreißend zu schluchzen, dass Helen schier das Herz stehen blieb.
    Oh Gott, sie kannte diese Qual nur zu gut.
    Es war dieselbe Art des Weinens, die auch die kleine Victoria von Kindesbeinen an beherrschte. Eine unglaublich emotionale, völlig aus sich herausgehende Qual, die sich einen Teufel darum scherte, was die Umwelt sagte oder tat oder dachte.
    Helen hielt es nicht mehr aus.
    Sie stürzte in den Nebel davon und schluchzte selbst erstickt, rannte blindlings vorwärts und hatte keinen Blick für den Weg. In diesem Zustand völliger nervlicher Konfusion lief die verstörte Reisende nur wenige Dutzend Yard weiter beinahe in eine Menschengruppe hinein, die einem Phantom gleich aus dem weißen, feuchten Dunst auftauchte.
    Zitternd und nach Atem ringend, doch zugleich einfach nicht glauben wollend, was ihr alle Signale aus der Umwelt zu vermitteln trachteten, blieb sie stehen, taumelte und starrte aus schreckgeweiteten Augen auf das Bild, das sich ihr bot. Helen hoffte halbherzig, sich mit der Beobachtung von der schrecklichen Hysterie befreien zu können, die ihre Seele mit Eisfingern im festen Griff hielt.
    Doch leider beruhigte sie das, was sie sah, keineswegs.
    Die hier im dünner werdenden Nebel versammelten Menschen saßen entlang eines Feldweges, betreut von Sanitätern, die warme Decken, Schemel und heißen Tee verteilt hatten. Die meisten waren Männer und Frauen mittleren Alters, vielleicht Berufspendler. Helen sah keine Kinder und auch keine ganz alten Leute. Alle, die hier so trostlos kauerten und ohne Appetit Suppe schlürften oder auf Sandwichs herumkauten, standen sichtlich unter Schock. Viele von ihnen trugen rotgeheulte Gesichter zur Schau, Nasen und Ohren rot von der klammen Kälte. Bei den meisten erkannte die Historikerin irgendwelche Verbände, sehr oft um den Kopf.
    Die späten Echos einer Katastrophe, da war sich Helen auf einmal ganz sicher. Die Erkenntnis schnürte ihr die Kehle zu.
    Männer und Frauen mittleren Alters, und Helen kannte die Gesichter alle.
    Es handelte sich um Personen, die mit ihr in den Zug nach Oxford gestiegen waren oder bereits darin gesessen hatten, als sich der Express in Bewegung setzte. Helen erinnerte sich, die meisten Gesichter beim Wandern durch den Zug gesehen zu haben, als sie ein leeres Abteil suchte, um dort in Ruhe abschalten zu können.
    Aber irgendwie fühlte sie auch voller Beklommenheit, dass diese Leute sie auch nicht sehen und nicht hören konnten. Sie war völlig allein in einer Menschentraube, und sie

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