Im Zweifel suedwaerts
fragte mich, wie Lucy sich wohl fühlen würde, wenn das hier vorbei war.
Während der eine Tänzer sie dazu animierte, ihm über seinen gestählten Bauch zu streicheln, war der andere schon wieder fast nackt, bis auf den obligatorischen Tanga und die Kopfbedeckung, die anscheinend immer dazu gehörte. In diesem Fall handelte es sich dabei natürlich um einen Sicherheitshelm. Er löste seinen Kollegen am Stuhl ab, damit dieser in Sachen Ausziehen aufholen konnte, und begann eine Art Lapdance, indem er rubbelnde Bewegungen auf Lucys Oberschenkeln ausführte. Ich begann, mir Sorgen zu machen. Ich konnte nichts von ihrem Gesicht ablesen. Seit sie von unserem Tisch entführt worden war, lag darauf unverändert ein hysterisches Grinsen, das alles bedeuten konnte. Entweder hatte sie gerade die Zeit ihres Lebens, oder sie war kurz davor, in Panik auszubrechen, zu hyperventilieren und tot von ihrem Stuhl zu fallen. Selbstverständlich hoffte ich inständig, dass Ersteres der Fall war.
Zum Abschluss der Showeinlage stellten sich beide Gentle Men mit dem Rücken zum Publikum vor Lucy auf. Sie bewegten noch ein wenig die Hüften hin und her, bis die Musik mit einem großen Knall zu ihrem Ende kam, und auch sie kamen zum Ende. Zum Ende der Show. Indem sie sich gleichzeitig ihrer Unterwäsche entledigten. Auf drei. Und da saßen nun wir anderen an unseren Tischen und sahen zwei durchtrainierte Hintern. Und da vorn saß Lucy und war die Einzige, die die Frontansicht genießen durfte. Wenn Genuss überhaupt das richtige Wort dafür war. Ein letzter Schrei entfuhr ihr, sie schlug sich die Hände vors Gesicht, und einer der Männer, den Helm lässig vor sich her tragend, nahm ihre Hand und führte sie von der Bühne. Der andere trug den Stuhl hinterher. Das Licht ging aus.
Es begann alles mit dem obligatorischen »Und? Was machst du jetzt so?«.
Felix machte nicht viel anderes als vor drei Jahren. Er arbeitete noch immer in derselben Firma. Inzwischen war er allerdings mehrmals befördert worden und verdiente so gut, dass es ihm a) fast peinlich war und er b) eine Eigentumswohnung in Hamburg hatte kaufen können.
»Welche Ecke?«, fragte ich und versuchte mich unbeeindruckt zu zeigen.
»Winterhude.«
»Ach so, deswegen sehen wir uns nie.« Er war mir voraus. Im Gegensatz zu ihm hatte ich nur einen Job. Keine Karriere. Ich trieb mich noch immer in Kneipen und Clubs auf St. Pauli herum und lebte zu einer extrem günstigen Miete in einem Renovierungsobjekt am Hafen, das dem Hippie-Freund meines Freundes gehörte und in dem es noch immer nach Räucherstäbchen und Marihuana roch. Felix hatte sich perfekt eingerichtet, um die nächste Phase seines Lebens in Angriff zu nehmen. Ehe, Kinder, ein bisschen Ruhe reinbringen. Er brauchte nur die richtige Frau, die er in seine hübsche, geschmackvoll eingerichtete Eigentumswohnung setzen und mit der er dann vollkommen sorglos eine Familie gründen konnte. Wenn ich mir das vorstellte, kamen die Bilder, die ich sah, direkt aus einer Werbung für Geflügelwurst. Oder Fruchtjoghurt. Eine schöne, gesunde, glückliche Familie beim sommerlichen Sonntagsfrühstück in einer großen, lichtdurchfluteten Küche. Wenn ich an mein Leben mit Richard dachte, sah ich nur eine fleckige graue Wand. Das Symbol dafür, dass es in unserer Beziehung so viele Baustellen gab, dass unklar war, ob wir das Thema Familiengründung überhaupt jemals wieder anreißen würden. Oder ob wir nicht eher unsere Plattensammlungen wieder auseinandersortieren sollten.
»Und du?«
»Ich was?«, fragte ich, und musste mich erst wieder daran erinnern, worum sich das Gespräch eben noch gedreht hatte. Wohnorte. »Ach so … Pauli. In der Nähe vom Hafen.«
»Nicht mehr in Eppendorf?«
»Nein.« Verdammt, ich hatte gewusst, dass ich irgendwann bereuen würde, das Neureichenviertel verlassen zu haben. In meinem Alter zog man da nicht mehr weg. Schon gar nicht auf den Kiez.
»Allein?«, fragte Felix.
Tja, und das, dachte ich, ist die Frage, deren Antwort den Fortlauf dieses Gesprächs bestimmen wird.
Sollte ich Richard leugnen? Mit großer Wahrscheinlichkeit lief es doch ohnehin darauf hinaus, dass wir uns trennen würden, sobald ich wieder zu Hause war. Auf der anderen Seite wäre das natürlich wirklich das Letzte. Eine fette Lüge. Und wozu? Um meinem Exfreund zu gefallen? Das wäre jämmerlich. Außerdem hatte ich ja keine Hintergedanken bei diesem Treffen, es war kein Date, ich wollte nichts anderes, als mich einfach ein
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