Im Zweifel suedwaerts
eines seltsamen Zufalls bedurft hatte, damit wir dieses Gespräch führten. Aber ich redete mir lieber ein, dass das eben eine Geschichte war, wie sie das Leben schrieb.
Seine Hand hielt meine fester. »Ich weiß, ich bin spät dran damit, aber ich bin froh, jetzt die Chance zu haben zu sagen: Es tut mir leid.«
»Ich … äh … Danke?« Ich befreite mich von seinem Griff und leerte mein Glas in einem Zug. »Wollen wir spazieren gehen?«, fragte ich.
Er nickte. »Gern.«
Die Nacht war warm und absolut windstill. Wie es sich für eine touristische Kleinstadt im Süden gehörte, waren die Straßen auch jetzt noch voller Leben. Ein wilder Mix aus verschiedenen Musikstilen drang aus den Bars, deren Lichter gelb und gemütlich die Gassen erleuchteten. Betrunkene Menschen redeten durcheinander, lachten, und manche sangen leider auch. Felix und ich gingen ziellos nebeneinander her, und er erzählte von seinem Leben in den letzten drei Jahren, von Reisen, die er unternommen hatte, Menschen, die er kennengelernt hatte, und auch von dieser Eva. Spätestens als er bei diesem Thema angekommen war, schaltete ich ab und folgte meinen eigenen Gedanken.
Ob es nun ein Zeichen war oder Schicksal, ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass es kein Zufall war, dass ich Felix hier über den Weg gelaufen war. Das alles kam mir vor wie ein Test. Keiner dieser peinlichen Treuetests, die man manchmal in den Boulevardnachrichten im Privatfernsehen sieht, sondern ein Test nur für mich gemacht, um zu prüfen, wie sehr ich mich Richard überhaupt noch verpflichtet fühlte. Mir schoss auch der Gedanke durch den Kopf, dass diese ganze Reise vielleicht einzig und allein diesem Zweck gedient hatte … Aber das ging dann doch ein bisschen zu weit. Oder nicht?
Ich fühlte tief in mich hinein und nahm auch diese mahnende Stimme wahr, die mich zumindest daran erinnerte, dass es so oder so menschlich absolut inakzeptabel war, mit Felix weiterzugehen als bis hier – und das war nicht geografisch gemeint. Ich wusste, dass diese Nacht das Potenzial hatte, auf direktem Weg in eine riesige Katastrophe zu führen, davor hätte mich Betty gar nicht zu warnen brauchen, ich war ja nicht blöd. Aber vielleicht erwartete mich am Ende dieses Weges ja auch gar keine Katastrophe. Und woher sollte ich das wissen, wenn ich nicht nachsah?
Felix nahm meine Hand. Die Berührung kam so unerwartet, dass ich zusammenschrak und fast entsetzt auf den Knoten hinunterblickte, den unsere Finger bildeten.
»Hab ich dich erschreckt?«, fragte er.
Ein bisschen. »Ich war mit den Gedanken woanders.«
»Bei deinem Freund?«
Nicht direkt bei ihm. Wenn ich bei Richard gewesen wäre, dann hielte ich jetzt nicht Felix’ Hand. Vielleicht war das das Problem. Richard und ich waren schon sehr lange nicht mehr »beieinander« gewesen. Und auch das war wieder nicht geografisch gemeint. Wir hatten uns genau genommen schon an verschiedenen Orten aufgehalten, als wir noch nebeneinander in unserem gemeinsamen Bett in Hamburg geschlafen hatten. Irgendwie war die Nähe nicht mehr da. Und wo keine Nähe war, war viel leerer Raum, in den sich andere Menschen drängeln konnten. Menschen wie Felix. Und auch wenn es falsch war, war es ein schönes Gefühl, wenn die Leere ausgefüllt wurde. Ich schaute auf den Boden und erwiderte nichts.
»Entschuldige«, sagte Felix. »Hätte ich das nicht sagen sollen?«
»Kennst du das, wenn eine Situation so verfahren ist, dass du jegliches Gefühl dafür verlierst, was richtig und was falsch ist?«, fragte ich ihn statt einer Antwort. »Wenn du denkst, dass du unfair zu dir selber sein musst, wenn du fair gegenüber anderen sein willst?«
Ein angestrengtes Stirnrunzeln von Felix ließ mich zuerst vermuten, dass er in diesem Moment abwog, ob es noch Sinn machte, mit mir weiterzugehen, oder ob ich so verkorkst war, dass der Rest der Nacht eher nervige Diskussionen als Spaß zu zweit bereithielt. Vielleicht beschloss er, es einfach drauf ankommen zu lassen, denn seine Züge entspannten sich kurz darauf, und er nickte, ohne mich anzusehen. »Ja. Das kenn ich. So hab ich mich gefühlt, bevor ich mit Eva Schluss gemacht habe. Man steht kurz vorm Wahnsinn und weiß sich nicht mehr zu helfen. Dann macht man diesen Schnitt«, er zog seine Hand waagerecht durch die Luft, »und plötzlich ist alles klar. Wie blauer Himmel nach einem Unwetter.«
»Schnitte tun weh.«
»Aber in manchen Situationen sind sie den Schmerz wert.«
Keine Ahnung, ob er die
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