Im Zweifel suedwaerts
Ich ging lieber ins Kino.
Lucy war anzusehen, dass ihr das, was gleich kommen würde, jetzt schon mehr als unangenehm war. Sie machte sich auf ihrem Stuhl so klein wie möglich und war so nah daran, tatsächlich im Erdboden zu versinken wie wahrscheinlich noch kein anderer Mensch vor ihr.
»Fünfzehn Euro für einen Caipi?« Betty knallte empört die Getränkekarte auf den Tisch. »Fünfzehn?!«
Ana war gar nicht erst erschienen und hatte sich damit rausgeredet, dass ihr Vater sie im Kloster abgeben und nie wieder abholen würde, wenn er erfuhr, dass sie strippenden Männern bei der Arbeit zugeschaut hatte – Portugal war nun einmal ein katholisches Land.
Aber Anas Fehlen fiel nicht negativ ins Gewicht. Es waren genug andere Gäste gekommen, der Saal war voll.
Das Publikum bestand aus Frauen jeden Alters, die weder religiöse noch moralische oder finanzielle Bedenken bei diesem frivolen Vergnügen hatten. Des Weiteren hatten die meisten von ihnen eine Vorliebe für Teleshop-Oberteile mit Glitzerapplikationen gemeinsam, die für sie anscheinend das perfekte Outfit für besondere Anlässe wie diesen darstellten. Einmal übergeworfen, immer glänzend angezogen. Oder so. Es gab auch viele Bauchtaschen zu sehen, körpernahe und solche, die abgeschnallt auf Tischen lagen. Aber nicht jede Frau hatte sich so ins Zeug gelegt. Betty zum Beispiel hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich nach dem Tag am Strand umzuziehen, und trug noch immer ihren Bikini unter dem Schlabber- T -Shirt, dazu Flip-Flops und Sand in den Hautfalten. Ich hatte immerhin eines meiner wenigen noch nicht durchgeschwitzten Kleider angezogen, allerdings nicht um für die Gentle Men gut auszusehen, sondern weil ich im Anschluss an diese Veranstaltung schließlich noch einen weiteren Termin hatte. Eine unverfängliche Verabredung, kein Date! Um das ein für alle Mal klarzustellen.
In dem Programmheftchen, das am Eingang verteilt worden war und in dem Marco jetzt schon seit mehreren Minuten aufmerksam blätterte, präsentierten sich die Gentle Men von ihrer besten Seite. Also nackt. Zumindest oben herum.
»Na, Schnuppi? Gefällt dir das?« Nachdem sie zähneknirschend ihren Drink bei einem der Kellner bezahlt hatte, rutschte Betty näher an Marco heran und studierte interessiert die aufgeschlagene Seite.
Auch Lucy warf einen scheuen Blick auf die Bilder, nur um bereits wenige Sekunden später wieder wegzuschauen und verständnislos den Kopf zu schütteln. »Ich mag das nicht. Diese ganzen Muskeln überall. Das ist nicht schön.«
Mit einem lauten Schlürfen zog Betty ihren Drink durch den Strohhalm. »Tja, Lucinda, ich befürchte, dann wirst du hier heute nicht auf deine Kosten kommen. Solche Typen wie Hannes haben die hier nicht im Repertoire.«
Das H -Wort. Ich warf Lucy einen erschrockenen Blick zu und wartete auf die Transformation. In wenigen Augenblicken würde sie wie eine Furie mit geballten Fäusten und hochrotem Kopf aus diesem Saal stapfen.
Doch ich wurde überrascht. Lucy versteifte sich zwar etwas auf ihrem Stuhl, aber ansonsten ließ sie sich nichts anmerken. Zunächst. Bis sie nach Bettys überteuertem Drink griff. »Darf ich?«
»Aber du trinkst doch keinen Al…«
»Ich hab Durst!« Trotzig zog sie mit voller Kraft an dem Strohhalm, bis nur noch das Crushed Ice übrig war. Dann schob sie Betty das leere Glas über den Tisch zu. »Danke.«
»Keine Ursache«, antwortete Betty baff. »Das war mir die fünfzehn Euro wert. Noch einen?«
»Besser nicht«, schaltete ich mich ein.
»Doch!« Lucys Augen funkelten herausfordernd.
»Ich steh auf Sixpacks!« Marco hielt das Programmheft hoch und zeigte auf einen besonders gut trainierten Gentle Man.
Wahrscheinlich wollte er nur das Thema wechseln. Aber diese Wortwahl … Betty und ich starrten ihn gleichzeitig wie auf ein Kommando an. »Du stehst auf Sixpacks?«
Marco warf mir einen Blick zu, den ich nur kurz wahrnehmen, aber nicht deuten konnte, bevor es im Saal stockfinster wurde.
Ein kleiner Scheinwerfer wurde angeschmissen und leuchtete den Samtvorhang vor der Bühne an. Eine Stimme dröhnte durch die Lautsprecher und begrüßte mit starkem amerikanischem Akzent die Gäste: »Ladies! Welcome and enjoy the show. Tonight here for your pleasure only: The Gentle Men!«
Eine Woge der Begeisterung und des Kreischens ging durch das Publikum, als der Vorhang sich öffnete und fünf Polizisten offenbarte, die Po wackelnd und ihre Hüften schwingend zu den Klängen von »It’s
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