Im Zweifel suedwaerts
Nähe von Aachen.
Nachdem ich siebzig Cent für die Toilette bezahlt hatte, spazierte ich mit einem nutzlosen Warengutschein über fünfzig Cent (und was kann man an einer Raststätte in Deutschland schon für fünfzig Cent kaufen? Nichts. Nicht einmal eine Toilettennutzung) zurück zu unserem mobilen Zuhause und entdeckte schon von Weitem neben Lucy und Betty zwei andere Gestalten, die vor der Schiebetür standen und rauchten. Zwei junge Männer. Ich kam näher und hörte, wie einer von ihnen in gebrochenem Deutsch die Hochzeitstorte meiner Mutter lobte. Das war gut, je eher wir sie los waren, desto besser. Wir hatten schließlich seit heute Morgen auch noch eine Tüte voller Wurstwaren an Bord, die gegessen werden wollten.
»Hallo«, sagte ich und winkte in die Runde.
Betty prostete mir mit ihrem Pappbecher voll Espresso zu. »Schätzelein, du wirst nicht glauben, was wir hier haben.«
»Was haben wir denn hier?« Soweit ich das beurteilen konnte, handelte es sich um zwei junge Männer, wohl kaum älter als zwanzig, der eine blond, der andere schwarzhaarig, der eine groß, der andere klein, beide dünn, beide in Shorts und T -Shirt, mit Rucksäcken vor sich auf dem Boden. Große Rucksäcke mit zusammengerollten Schlafsäcken, die von den Außenschnallen gehalten wurden. Rucksäcke, wie sie eigentlich nur eine Gruppe Menschen mit sich herumtrug: Backpacker. Was eigentlich nur eine Antwort zuließ.
»Anhalter! Waschechte, polnische Anhalter!« Ihrem Grinsen war anzusehen, dass Betty genau ahnte, in welche Bredouille mich das bringen würde. Zwei blutjunge, harmlos aussehende Abenteurer mit großem Hunger und großen Rucksäcken. Wollte ich wirklich meinen Prinzipien treu bleiben und sie unter dem grauen Himmel vor Aachen zurücklassen? Das wäre dann ein bisschen so, als würde man einen Welpen aussetzen. Herzlos. Genau wie Betty es vorausgesagt hatte.
»Aaaa-ha!« Ich sah von einem zum anderen. »Und?«
Der große Blonde, der eben sein letztes Stück Torte heruntergeschluckt hatte, wischte eine Hand an der Seite seiner Hose ab und reichte sie mir. »Ich bin Karol.« Das »ch« klang ein bisschen wie ein Fauchen. »Und das ist Viktor, ein Freund.« Der kleine Schwarzhaarige aß weiter seine Torte und schaute nicht auf, bis Karol ihn in die Seite stupste. »Er kann kein Deutsch. Ich habe das nur gelernt. In der Schule.«
»Ziemlich gut, was? Deutsch ist so schwer zu lernen.« Lucy lächelte, und das freute mich.
»Die beiden wollen nach Frankreich«, erklärte Betty.
»Erst Frankreich. Dann mal sehen«, Viktor machte eine Handbewegung, die Ambivalenz ausdrücken sollte. »Oder auch nicht Frankreich. Kommt an.«
»Kommt drauf an«, verbesserte Lucy ihn liebenswürdig, und mich beschlich das Gefühl, dass ich hier mit meiner Meinung zum Thema Anhalter auf verlorenem Posten stand. Betty würde es vielleicht in erster Linie albern finden, wenn ich mich dagegen sträubte, die beiden mitzunehmen. Aber Lucy würde ich das Herz brechen. Der Vergleich mit dem Welpen war schon ganz passend. Es fehlte nur noch, dass Lucy Viktor und Karol das Fell kraulte und sie mit Tortenstückchen zu kleinen Tricks animierte. Sich tot stellen zum Beispiel. Auf den Hinterbeinen laufen konnten sie ja schon.
»Also nach Frankreich wollt ihr?«
»Wie sagen, kommt drauf an.« Viktor lächelte Lucy an.
Sie schüttelte nachsichtig den Kopf. »Fast richtig. Wie ge sagt, sagt man.«
»Wie ich gesagen.«
Lucy lachte. Viktor sah sie irritiert an.
Ich warf Betty einen Blick zu. Sie machte wieder dieses Gesicht, eine Mischung aus Amüsement und Sadismus. »Tja, also wie der Zufall so will, fahren wir heute nach Frankreich.«
»Schön, dass du dich endlich für eine Route entscheiden konntest«, stichelte ich.
Betty sah mich an, als wüsste sie nicht, was ich meinte. »Wieso? Wir fahren immer südwärts, hatten wir gesagt.«
»Du.«
»Okay, dann ich. Aber wir fahren immer südwärts, und Frankreich liegt im Süden, also …«
»Genau, Betty. Wir, also du, ich und Lucy fahren immer südwärts. Von mir aus gern nach Frankreich. Aber alles Weitere müsste man vielleicht erst mal besprechen.«
»Hä? Und Viktor und Karol dürfen nicht mit uns südwärts fahren?«
»Lucy, von dir hätte ich am allerwenigsten gedacht, dass du damit einverstanden bist, dass wir irgendwelche Fremden auf Rastplätzen einsammeln und mitnehmen. Bin ich denn die Einzige, die darüber nachdenkt, was da alles passieren kann?«
»Aber das sind ja keine Fremden«,
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