Im Zweifel suedwaerts
leisten. Besuchen Sie ein Theater oder eine Musikveranstaltung.
Warum nicht, dachte ich. Wenn wir schon zu Hause bleiben müssen …
Inzwischen weiß ich, dass dieser Kompromiss nicht funktioniert.
Am ersten Tag unseres Urlaubs zu Hause hatte Richard noch einen schnellen Termin mit einem neuen Künstler seiner Plattenfirma eingeschoben – »nur ein Stündchen, Daphne« –, woraufhin ich mir überlegte, dass es ganz praktisch wäre, schnell diesen Zahnarztbesuch hinter mich zu bringen, für den ich sonst nie die Zeit fand.
Irgendwann gegen Mittag trafen Richard und ich uns in der Stadt. Meine linke Gesichtshälfte war betäubt. Richard fand, dass das witzig aussah. Ich nicht so. Er schlug vor, dass wir ins Miniaturwunderland fahren sollten. Dort war alles ganz klein. Ich fand den Vorschlag ziemlich bescheuert, konnte meine Meinung aber wegen der anhaltenden Betäubung schlecht artikulieren. Ich schmollte und dachte, das würde Richard zeigen, wie wenig begeistert ich von unserem Ausflugsziel war, aber er dachte, mein schiefes Grinsen hinge mit der Betäubung zusammen und ging darauf gar nicht ein. Und so verbrachten wir den Nachmittag damit, uns sehr viele, sehr kleine Dinge anzusehen. Richard fand die Ausstellung witzig, allerdings hatte er ja auch schon während seines Termins am Vormittag zwei große Bier getrunken. »Ach, Daphne, ich hab doch Urlaub!«
Im Anschluss an unseren Besuch im Miniaturwunderland wünschte ich mir einen Spaziergang im Grünen. Ich stellte mir das schön romantisch vor. Arm in Arm würden wir unter dem dichten, satten Laubdach der Sommerbäume des Jenischparks wandeln und endlich mal wieder Zeit für ein harmonisches, erfrischendes, liebevolles Gespräch haben, das unsere Zusammengehörigkeit bestärken würde. Früher hatten wir das oft gemacht. Gehen, reden, lachen. Aber irgendwie war das irgendwann zu kurz gekommen. An diesem Nachmittag war das leider nicht anders. Richard hatte keine Lust zu reden. Und wenn er doch etwas sagte, dann dass er Hunger hatte.
Ich war genervt. »Warum hast du nichts in diesem Miniaturwunderland gegessen?«
»Hast du gesehen, wie klein die Portionen da waren?!«, fragte er und lachte ausnahmsweise.
Zugegeben, das war schon irgendwie ganz lustig, aber ich lachte nicht, weil ich erst noch über meine Enttäuschung über den verkorksten Nachmittag hinwegkommen musste. Es war nicht fair. Wir hatten doch schließlich auch getan, was er sich gewünscht hatte. Nämlich uns ganz, ganz kleine Dinge anzuschauen. Und jetzt war ein kurzer Spaziergang zu viel verlangt?
Weil ich so frustriert war, dass ich diesen Teil unseres Urlaubstages gar nicht richtig genießen konnte, und weil Richard ja schließlich sehr großen und ich auch ein bisschen Hunger hatte, machten wir uns auf den Heimweg und kauften unterwegs zwei Portionen Currywurst mit Pommes und Mayo in der Kleinen Pause, die wir dann auf dem Sofa vor dem Fernseher aßen.
»Wollen wir noch ins Theater oder so?«, fragte ich Richard, als die Werbung anfing.
Er sah mich entgeistert an. »Ins Theater?!«
»Oder ins Konzert. Egal. Irgendwie so was.«
»Hm«, machte er und verlor sich in einem Werbespot für Waschmittel.
Zum Glück , dachte ich, ich hab eh keine Lust, das Haus zu verlassen, um zwanghaft irgendeine Veranstaltung zu besuchen.
Aber während ich das dachte, schoss mir noch etwas anderes durch den Kopf. Etwas, das Betty mir vor vielen, vielen Jahren gesagt hatte, als ich mich mal wieder darüber beschwert hatte, dass ich mein Leben als Single verbringen musste. Sie hatte mich angesehen, die Augen verdreht und gesagt: »Schätzelein, Beziehungen sind das Schlimmste. Langweiliger Scheiß. Wozu brauchst du einen Freund? Damit du mit ihm auf dem Sofa hockst und fernsiehst? Das ist nämlich alles, was man nach einer Weile noch miteinander macht. Rumsitzen und glotzen.«
Ich dachte damals, sie wollte mich nur trösten. Auf ihre eigene, unorthodoxe Art. Aber es war eine Warnung gewesen. Mit Hand und Fuß.
Richard und ich verbrachten wirklich viel unserer raren gemeinsamen Zeit vor dem Fernseher. Warum auch nicht? Ich arbeitete viel, er auch. Es war schön, sich berieseln zu lassen und gemeinsam nichts zu tun. Bis zu diesem Moment jedenfalls, als mir schlagartig bewusst wurde, dass wir uns verhielten wie ein altes Ehepaar. Das Schlimme daran: Wir waren weder verheiratet, noch waren wir alt.
Ich setzte mich auf die Sofakante und starrte schockiert Richard an.
»Was ist?« Er wischte sich über den
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