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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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erklärte Lucy. »Das sind Viktor und Karol. Außerdem langweile ich mich allein da hinten im Bus.«
    Karol hob die Hände. »Ich will keinen Streit machen.«
    »Und wie ist es mit dir, Schätzelein?«, fragte Betty, den Zündschlüssel in der Hand. »Willst du Streit machen?«
    Wollen schon. Aber ich durfte ja nicht.
    Es ist nicht einfach, in Begleitung zu reisen. Das dachte ich, als unser Spaßexpress die Grenze nach Belgien passierte, Betty ihre Kassette umdrehte und hinten im Bus die polnisch-deutsch-polnische (Lucy hatte schließlich auch Wurzeln in Karols und Viktors Heimat. Kottkewicz. So heißt man nicht aus Versehen) Tortenparty in vollem Gang war. Ich lehnte meinen Kopf an die sanft vibrierende Scheibe der Beifahrertür und sah der Landschaft draußen beim Vorbeirauschen zu. Viel zu sehen gab es leider nicht. Die belgische Autobahn unterschied sich nicht im Geringsten von der deutschen. Asphaltfahrbahnen, Mittelstreifen, Bäume und Büsche und Felder hinter der Leitplanke. Das war’s. Betty drehte eine Zigarette, hielt sie mir hin und gab mir auch gleich Feuer. Man hätte annehmen können, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie mich genötigt hatte, die beiden Anhalter mitzunehmen. Aber so, wie ich Betty kannte, wollte sie mir einfach eine Zigarette anbieten. Sie tat grundsätzlich alles ohne Hintergedanken. Und hatte nie ein schlechtes Gewissen.
    Es ist nicht einfach, in Begleitung zu reisen, dachte ich, obwohl ich schon oft allein verreist war und durchaus die Nachteile davon kannte. Ich seufzte. Manchmal war es langweilig, weil man einsam und ohne jemanden zum Reden stundenlang auf irgendwelche Anschlussflüge oder Züge warten musste. Wie oft hatte ich mir gewünscht, einen Sitznachbarn zu haben, neben dem ich gern saß, und nicht diese andere Person, die dort stattdessen saß, mir die Armlehne streitig machte und entweder stark schwitzte, zu viel Parfüm benutzte oder aus anderen Gründen auffällig roch, zu laut atmete, schmatzte oder schnarchte, sich an intimen Stellen kratzte, sich im Ohr puhlte oder, was fast genauso schlimm war, mir ein Ohr abkaute – einer dieser Umstände war eigentlich immer traurige Realität. Außerdem war es natürlich sehr viel praktischer, wenn man nicht sein komplettes Gepäck auf irgendeine öffentliche Toilette mitschleppen musste, weil niemand da war, der ein vertrauensvolles Auge darauf hatte.
    Es hatte wirklich viele Nachteile, wenn man allein reiste. Der größte Vorteil aber war nicht von der Hand zu weisen: Man war unabhängig.
    Dass Richard und ich noch nie einen gemeinsamen Urlaub mit allem Pipapo verbracht hatten, lag bekanntlich in erster Linie an den Terminschwierigkeiten, mit denen vor allem er zu kämpfen hatte. Doch eine andere große Hürde, an der wir immer wieder scheiterten, waren die Planungsdiskussionen. Wir wollten prinzipiell immer das Gegenteil von dem, was der andere wollte. Wenn ich vorschlug, eine Woche in New York zu verbringen und seine alten Freunde zu besuchen, stand ihm der Sinn nach einem abgeschiedenen Häuschen tief in den nordschwedischen Wäldern, dort, wo sich sonst nur Elche und Psychopathen mit Kettensägen aufhielten. Wenn ich ihm dann beim nächsten Anlauf entgegenkommen wollte und einen erholsamen Urlaub irgendwo am Meer vorschlug, wollte er ganz aktiv irgendwelche Berge besteigen. Da Richard eigentlich sehr genau wusste, dass ich in meinem Leben ganz sicher niemals einen Berg besteigen würde – allerhöchstens vielleicht, wenn das Tal, in dem ich mich aufhielt, überflutet wurde –, nahm ich diesen Vorschlag als schlechten Witz auf und warf ihm vor, diese ganze Urlaubssache einfach nicht ernst zu nehmen. Seine nächste Idee, für eine Woche nach Marokko zu fliegen, fand ich eigentlich gut, aber da ich sauer auf ihn war, sagte ich Nein. Manchmal kann man wirklich nur noch sich selbst die Schuld geben.
    Wir verbrachten daraufhin also (weil wir mit allem zu lang gewartet hatten, der Entscheidung, der Buchung, dem Packen, allem) die eine wertvolle freie Woche, die Richard hatte herausschlagen können, in Hamburg. Mit dem guten Vorsatz (oder auch unbefriedigendem Plan B), unsere Heimatstadt zu erleben, wie Touristen es tun. Solche Vorschläge findet man manchmal in Frauenmagazinen unter »Tipps für ihre Beziehung«: Erleben Sie Ihre Heimatstadt wie zwei Touristen. Seien Sie romantisch. Unternehmen Sie Tagesausflüge an Orte, an denen Sie noch nie waren. Gehen Sie essen in einem Restaurant, das Sie sich sonst nie

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