Im Zweifel suedwaerts
nicht eifersüchtig?«
»Doch. Aber damit muss ich wohl klarkommen. Ich kann ja nicht ändern, dass ich ihn liebe.«
»Hm.«
Es war immer schwierig, mit Betty über Beziehungen zu reden. Wir hatten einfach komplett unterschiedliche Ansichten, was dieses Thema betraf. Ich war eher der konservative Typ. Ein Mann, eine Frau, dann mischt man Liebe mit rein, und wenn sich beide einig werden, gehören sie zusammen. Alles oder nichts. Ein Korsett, das manchmal zwickte und zu eng war, aber auch eine gewisse Sicherheit bedeutete, in der man sich wohlfühlen und fallenlassen konnte. Im besten Fall. Mir fehlte leider zu oft das nötige Vertrauen.
Für Betty ging es um den Menschen, in dessen Nähe man sein wollte. Man fand ihn, und dann nahm man die Wellen, wie sie kamen – Berge und Täler, egal wie hoch oder tief. Das war der Mensch, zu dem man gehörte. Auch wenn er Sachen tat, die verletzend waren, selbst wenn man kaum etwas von dem, was man gab, zurückbekam … Es nützte ja nichts, solange man liebte, ging man da durch.
Das war eine edle und herausfordernde Idee, und im Gegensatz dazu fühlte sich meine Auffassung von einer Beziehung schäbig und besitzergreifend an. Vielleicht lebte Betty die wahre Liebe. Vielleicht war das aber auch großer Schwachsinn, und sie ließ sich von vorne bis hinten verarschen.
Doch ich war heute nicht mehr in der Verfassung für tiefschürfende Analysen … »Wie geht es Max?«
»Er hat schon geschlafen. Er war müde vom Buddeln und der Seeluft und so.« Sie zuckte mit den Schultern. »Es geht ihm gut. Morgen ruf ich früher an, dann kann Mo ihm den Hörer ans Ohr halten.«
Ich nickte. Ich merkte, dass sie traurig war. »Kommst du mit rein?«
»Ich schlaf im Bus. Ich glaube, Moni findet das auch besser. Immer wenn ich an ihr vorbeigehe, schnüffelt sie so.«
»Wir können dir ja ein Duftbäumchen umhängen.«
»Sehr witzig, Schätzelein. Du bist auch nur auf Bewährung, vergiss das nicht. Du hast den Gartenzwerg umgebracht.«
»Es war ein Unfall«, sagte ich, gab Betty einen Kuss auf die Wange und kletterte aus dem Bus.
Lucy schlief schon und schnarchte leise, wegen der vom Weinen geschwollenen Schleimhäute. Ich zog mich aus, wühlte mich in den Synthetik-Schlafsack auf der Luftmatratze vor Lucys Bett und fühlte, wie mir sofort alle Haare elektrisiert zu Berge standen. Ich drehte mich um, die Luftmatratze quietschte. Außerdem merkte ich, wie ich langsam immer weiter dem Rand entgegenrutschte, weil das glatte Material des Schlafsacks keinen Halt auf der Plastikoberfläche fand. Ich versuchte, genau in der Mitte der Matratze so ruhig wie möglich auf dem Rücken zu liegen, heftete meinen Blick an die Leuchtsterne an der Zimmerdecke und dachte, dass ich mir solche auch immer gewünscht hatte. Als ich acht war. Ich dachte an Richard, ob ich mich bei ihm entschuldigen sollte oder er sich bei mir. An den morgigen Tag. Daran, ob mit Lucy überhaupt etwas anzufangen sein würde, oder ob wir sie lieber hier zurücklassen sollten, drei Wochen Liebeskummerkur mit Fleischanwendungen bei Mutti. Und während ich all das dachte, fühlte ich den harten Boden unter meiner rechten Schulter. Zu weit gerutscht. Ich seufzte und rollte mich auf den Bauch. Die Matratze quietschte wieder.
Am Kopfende der Matratze stand Lucys Nachttisch, ein kleines Schränkchen mit eingebautem Bücherregal. Ich sah mir den Inhalt an und fand ein Poesiealbum im Neunzigerjahre-Design. Ich hatte ungefähr das Gleiche gehabt. Amüsante Erinnerungen an eine Zeit, in der die Eltern für Essen und Unterkunft sorgten und Schuldiscos das Aufregendste waren – eng tanzen mit den Jungs, bis man um neun abgeholt wurde. Kleine Freuden, die sich groß anfühlten. Ich nahm das Buch aus dem Regal und blätterte darin. Die Seiten waren leer. Ich begann von vorn und schlug Seite um Seite auf. Nichts, nichts, nichts. Dann, etwa auf Seite zwanzig, fand ich einen Eintrag. Es war eine lieblose, gemeine Zeichnung. Ein mit schwarzem Filzstift hingekritzeltes Schwein. Darunter stand in krakeliger Schrift: »Das ist Lucy.«
Ich starrte das Bild eine Weile an und lauschte dem Atem meiner schlafenden Freundin. Dann klappte ich das Buch zu, stellte es wieder ins Regal und brachte meine Knirschschiene in Position. Ich versuchte zu schlafen. Aber das ging nicht.
6
Der Teil mit den Anhaltern
DAPHNES MIXTAPE
International Pony – Leaving Home
Nach einem Tag Urlaub fühlte ich mich am nächsten Morgen erholungsbedürftiger als jemals
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