Im Zweifel suedwaerts
Zum Glück. Du machst dir immer diesen Druck, ich kapier gar nicht, wieso. Erst muss unbedingt ein Kerl her, dann hast du einen, dann ist der Druck weg, und jetzt machst du dir neuen Druck, weil dieser Kerl nun aber auch bis an dein Lebensende halten muss.«
»Aber darum geht es doch.«
»Nö. Nur wenn man sich selbst schlechte Laune machen will.«
Ich fragte mich, ob in Bettys Welt die Dinge wirklich so einfach waren, oder ob sie nur den Konflikt scheute. »Es stimmt eben so vieles nicht. Er kümmert sich nicht um die Sa chen, die mir wichtig sind. Er wird einfach nicht erwachsen.«
»Ist doch scheißegal.«
»Find ich nicht.«
»Okay, fein!« Betty war plötzlich wütend. »Dann such dir eben einen Besseren. Vorsichtshalber, weil ja Richard eventuell nicht der Richtige ist.« Sie stand auf, öffnete den Knoten aus Haaren auf ihrem Kopf, drehte ihn neu und pöbelte: »Weißt du, was? Du brauchst keinen Mann, du brauchst eine Wahrsagerin, die immer schön für dich in die Zukunft schaut und dich vor allen Gefahren warnt, damit dir ja nichts Schlimmes passiert. Das ist doch eigentlich das, was du willst. Du feige Kuh.«
Jetzt war ich also eine feige Kuh. Gut, von mir aus. Ich ließ meinen Zigarettenstummel neben Bettys auf dem Teller liegen und sagte nichts mehr. Betty war eben nicht ich. Und es war offensichtlich zu viel von ihr verlangt, sich in meine Lage zu versetzen. Ich beugte mich über den Tisch und stützte mein Kinn auf der Handfläche auf.
Lucy kaute an ihren Haaren.
In einer plötzlichen Bewegung stand Betty auf und öffnete die Schiebetür. »Ich geh los, mal schauen, was am Dienstagabend so in Biarritz los ist.« Sie stieg aus und blieb draußen stehen. »Kommt eine von euch mit?« Sie wusste selbst, dass diese Frage von uns allerhöchstens rhetorisch verstanden werden würde.
Ich schüttelte den Kopf.
Lucy ließ die angesabberten Haare aus ihrem Mund fallen und warf Betty einen schnellen schüchternen Blick zu. »Ich warte lieber, dass Karol wiederkommt.«
Betty zuckte mit den Schultern. »Kann ja jeder machen, was er will, nä? Ist ja schließlich Urlaub.« Der Satz, der aus ihrem Mund sonst immer so euphorisch klang, hatte eine kalte, zynische Färbung bekommen. Die Tür schloss sich mit dem üblichen Knall, vielleicht war er aber auch ein wenig heftiger als sonst.
Ich konnte nicht schlafen. Ich tat bloß so, weil mir nichts Besseres einfiel. Die Wellen rauschten immer gleich. Und auch meine Gedanken waren noch dieselben, allerhöchstens verstärkt durch Dunkelheit und Stille, wie das eben so ist. Irgendwann reichte es mir. Ich zog so leise wie möglich, um Lucy nicht zu wecken, meinen Pullover und die Turnschuhe an und kletterte aus dem Bus. Das Meeresrauschen wurde lauter, die Nachtluft war kühl. Ich schlang mir die Arme um den Körper und überquerte die Straße. Sobald ich auf der niedrigen Mauer oberhalb des Strandes saß, wusste ich nicht, was ich als Nächstes tun sollte. Mich hier hinzusetzen war ein kleines Ziel gewesen, das ich schnell erreicht hatte. Jetzt konnte ich nur warten, dass etwas passierte. Dass ich müde wurde. Oder Betty zurückkam. Oder plötzlich ein Eiscremewagen vorbeifuhr und ich mir zwei Kugeln mit Streuseln im Becher kaufen konnte. Wobei ich keine Ahnung hatte, wie man auf Französisch Eis bestellte. Ich müsste auf das zeigen, was ich wollte. Wenn ich überhaupt wusste, was das war.
»Ich kann nicht schlafen.« Wie ein Geist war Lucy in dem gelblichen Lichtschein einer Straßenlaterne neben mir erschienen. Komisches Licht, dachte ich, es macht nichts heller und strengt bloß die Augen an. Sie trug ihre Strickjacke, die Knöpfe hatten die Form von Röschen, und eine Decke unter dem Arm, die sie über unseren Beinen ausbreitete, nachdem sie sich neben mich gesetzt hatte. So wie ich es am Tag zuvor in Bologne-sur-Mer getan hatte. »Das mit Richard und dir tut mir leid. Ich wusste gar nicht, dass ihr euch nicht mehr so gut versteht«, sagte sie.
Ich winkte ab und kratzte unter der Decke an einem neuen Mückenstich, ziemlich direkt neben dem anderen. »Sieht ja ganz so aus, als sei ich das Problem.«
Lucy stützte sich mit den Armen auf der Mauer ab und sank in sich zusammen, sodass ihr Kopf zwischen ihren Schultern steckte und sie entfernt an eine Schildkröte erinnerte. So saßen wir dort, schwiegen und sahen den schwarzen Wellen zu – die Schildkröte und die feige Kuh. Welches Geräusch machten Schildkröten eigentlich? Sie fauchten, oder?
»Ich hatte
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