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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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ja schon mal Sex«, sagte Lucy, als nähme sie eine alte Unterhaltung wieder auf, die wir nie geführt hatten. Sie schien etwas erschrocken darüber zu sein, wie unerwartet laut ihre Stimme klang, denn sie sank noch ein bisschen mehr in sich zusammen.
    »Ja?« Das war nicht unbedingt eine der Fragen gewesen, die mich in der letzten Zeit beschäftigt hatten. Ob Lucy schon einmal Sex gehabt hatte oder nicht. Das war ihre Sache, das ging mich nichts an.
    »Nur falls du dich das gefragt hast.«
    »Na ja …« Eben nicht.
    »Wegen Hannes.«
    »Ich weiß.«
    »Also, nicht mit ihm.« Sie räusperte sich. »Aber das weißt du ja.«
    Ich nickte.
    Lucy ließ noch ein paar Augenblicke verstreichen, bevor sie weiterredete. »Das war damals, als ich auf die Realschule gegangen bin. Da war ich fünfzehn.« Sie stockte.
    Ich wandte mich ihr zu, aber sie sah mich nicht an, als erzählte sie die Geschichte gar nicht mir, sondern dem menschenleeren Strand. »Du musst darüber nicht reden, wenn du nicht willst.«
    »Doch. Will ich.« Ein schneller Seitenblick. »Wenn du es hören willst.«
    »Klar.« Nicht aus Neugier. Sondern um für sie da zu sein. So machten Freunde das.
    »Okay, also, er hieß Oliver und ging in meine Klasse. Ich war in ihn verliebt. Schon richtig lange, seit der ersten Klasse eigentlich. Er war wirklich süß, mit lauter Sommersprossen und so. Und seine eine Augenbraue war so geteilt«, sie zog ihren Zeigefinger einmal quer über ihre rechte Augenbraue, »da hatte er eine Narbe, ich weiß nicht, wovon. Er ist immer mit dem Fahrrad zur Schule gekommen, und am Nachmittag saßen er und seine Freunde beim Sportplatz auf den Bänken. Er hatte viele Freunde. Manchmal bin ich da auf dem Heimweg vorbeigegangen, nur damit ich heimlich rübergucken konnte, aber er hat mich nie bemerkt.«
    »Hast du dich in den Büschen versteckt?«
    »Nein! Ich bin vorbeigegangen, ganz normal. Manchmal haben seine Freunde gelacht, wenn ich gekommen bin. Aber Oliver hat immer woanders hingeguckt.«
    Fünfzehn sein ist hart, dachte ich.
    »Irgendwann hat ein Mädchen aus meiner Klasse, Laura hieß die, ihren Geburtstag gefeiert. Ihre Eltern hatten ein Restaurant mit einer Kegelbahn im Keller, und da sollte eine richtig große Party stattfinden, richtig groß, deswegen war sogar ich eingeladen, obwohl ich sonst nie irgendwo eingeladen worden bin. Aber da dann schon, weil alle kommen sollten. Sie hat sich vorne vor die Klasse gestellt und gesagt, dass sie am Samstag feiert und jeder kommen kann, der will. Erst wollte ich nicht, aber meine Mutter meinte, ich soll da hingehen, weil ich ja sonst nicht so viele Freunde habe.«
    Schon dieser Teil der Geschichte sorgte dafür, dass ich einen fetten Kloß im Hals hatte. Ich musste an das Poesiealbum in Lucys Kinderzimmer denken und hatte so eine leise Ahnung, dass der Kloß noch größer werden würde. Am liebsten hätte ich sie umarmt. Und noch lieber hätte ich ihr fünfzehnjähriges Ich umarmt und ihm gesagt, dass das alles irgendwann vorbeiging. Dass irgendwann ein neues Leben anfangen würde, dass sie jede Menge Freunde finden würde, solche, die wirklich zu ihr passten und sie von Herzen mochten, so wie sie war. Aber wenn ich an mein eigenes Teenager-Ich dachte, wurde mir klar, was für eine sinnlose Idee das war. Selbst wenn es die Möglichkeit gäbe, ich hätte damals einer dahergelaufenen Dreißigjährigen kein Wort geglaubt. Was wussten die schon über den Schmerz der Pubertät? Nichts.
    »Und dann?«, fragte ich.
    »Bin ich auf die Party gegangen.« Lucy hielt inne und schluckte angestrengt. »Oliver war natürlich auch da und seine Freunde auch. Als ich reinkam, haben sie wieder gelacht, und sie haben Bier getrunken, obwohl Lauras Eltern das eigentlich nicht erlaubt hatten. Aber alle hatten Alkohol dabei, alle außer mir. Ein paar Mädchen aus meiner Klasse hatten mir auch etwas angeboten, aber ich wollte nicht. Ich saß die ganze Zeit an einem Tisch und hab Cola getrunken, bestimmt sechs Gläser.« Sie leckte sich die Lippen, als würden sie noch danach schmecken. »Irgendwann ist Oliver mit einer Flasche Bier zu mir gekommen und hat mich gefragt, ob ich gar nichts trinken will. ›Doch, Cola‹, hab ich gesagt, und er meinte, das wäre ›doch nichts Richtiges‹. Dann hat er mir ein Bier in die Hand gedrückt und mit mir angestoßen.
    Ich hätte es nicht trinken müssen, das weiß ich. Aber ich hab mich so gefreut, dass er mit mir gesprochen hat und mir sogar ein Getränk gebracht hat,

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