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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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und dann hab ich es eben getrunken. Ich war so aufgeregt. Und es hat eklig geschmeckt. Aber er hat mir noch eins gebracht und noch eins, er hat immer mehr geholt und gesagt, dass das zu einer Party dazugehört. Ich hab auf ihn gehört, weil ich ihm gefallen wollte. Irgendwann war mir voll schlecht.«
    »Kann ich mir vorstellen.«
    »Ich hatte vorher ja noch nie Alkohol getrunken. Alles hat sich gedreht. Und die anderen haben plötzlich gelacht, und die Musik war so laut. Mir war ganz heiß, das weiß ich noch. Und dann irgendwann sind Oliver und ich aus dem Partyraum gegangen. Er musste mich stützen, daran erinnere ich mich noch. Wir sind die Treppen zum Restaurant hochgegangen, und er hat gesagt, ich soll mich zusammenreißen, damit Lauras Eltern nichts merken und dann die Party abbrechen, denn dann wäre alles meine Schuld. Das wollte ich natürlich nicht, also hab ich mich zusammengerissen.
    Als wir draußen auf dem Parkplatz vom Restaurant standen, hab ich ihm gesagt, dass ich nicht mehr weiterlaufen kann, weil sich alles dreht. Da hat er mich in so einen Schuppen oder eine Garage neben dem Restaurant gebracht, es roch da drin ganz doll nach Farbe, das weiß ich noch, und überall auf dem Boden lagen Pappen, die waren dreckig, aber das war mir egal, weil ich mich hinlegen musste . Mir war sooo schwindelig. Ich hab die Augen zugemacht, und dann weiß ich nur noch, dass er angefangen hat, mir die Strumpfhose runterzuziehen, und dass ich mich geschämt hab, weil ich so fett war. Ich war immer so fett.« Lucys Stimme zitterte. Sie zog die Nase hoch und atmete tief aus. Einatmen, ausatmen, gegen die Tränen. Seltsam, dass sie sonst immer weinte, und es ihr egal zu sein schien, wer es sah oder hörte. Aber ausgerechnet jetzt kämpfte sie mit aller Macht dagegen an.
    Ich rutschte näher an sie heran und legte einen Arm um ihre Hüfte.
    »Das war mein erstes Mal«, sagt sie. »Auf dreckigen Pappen in einem Schuppen. Ich lag nur da und konnte mich nicht bewegen, weil mir so schlecht war. Und weißt du was: Ich war froh, dass es wenigstens mit dem Jungen passierte, in den ich verliebt war.« Ein bittersüßes Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Ich hab mal in einer Zeitschrift gelesen, dass das wichtig ist. Aber irgendwie ist es wohl nicht das Wichtigste.«
    Mein Mund war trocken. »Nein«, brachte ich heraus, »da gibt es noch andere Dinge, die wichtig sind …«
    Lucy zuckte mit den Schultern und fuhr fort, als würde sie von einem langweiligen Tag im Büro berichten. »Jedenfalls, als ich aufgewacht bin, war es schon hell, und alle anderen waren weg, auch Oliver. Ich bin zu Fuß nach Hause gegangen, und da hat dann meine Mutter mit mir geschimpft, weil sie sich Sorgen um mich gemacht hat und ich nach Alkohol gerochen hab und mein neues Kleid ganz dreckig war. Ich hab ihr nicht gesagt, was passiert ist.«
    »Mann, Lucy, der hat dich vergewaltigt!«
    »Nenn das nicht so.« Ihr Blick war sowohl flehend als auch wütend.
    »Wie soll ich das denn sonst ne…«, begann ich fassungslos. Weiterzusprechen machte allerdings wenig Sinn, denn Lucy hielt sich die Ohren zu, summte und hörte damit erst auf, als sich meine Lippen nicht mehr bewegten.
    »Nenn das nicht so«, wiederholte sie ernst und schaute auf ihre Hände. »Das ist mir peinlich.«
    »Peinlich?!« Ich war außer mir. Ich wäre am liebsten auf der Stelle nach Remscheid gefahren und hätte den Kerl zur Verantwortung gezogen. Mit Kratzen, Beißen, Spucken, an den Haaren ziehen und natürlich der Staatsgewalt im Schlepp tau. Apropos: »Warst du nicht bei der Polizei?«
    Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. »Nein. Hätte ich wahrscheinlich machen sollen …« Sie zuckte mit den Schultern. »War mir zu peinlich. Das alles.«
    Ich hielt mir die Hand vor den Mund, sonst hätte ich bloß Dinge gesagt, die Lucy noch mehr unter Druck setzten. Dass sie selbst so viele Jahre später noch dachte, es wäre ihre Schuld und müsste ihr peinlich sein, machte mich rasend.
    »Am Montag«, fuhr Lucy mit ihrer Geschichte fort, sachlich, als würde sie über jemand anderen reden, »in der Schule, haben mich alle ausgelacht. Sie haben gesagt, dass ich auf der Party total betrunken gewesen bin und mich voll lächerlich gemacht habe. Das war mir unangenehm, aber ich hab nicht wirklich hingehört, weil ich Oliver gesucht hab. Er saß mit seinen Freunden vor der Schule. Ich hab mich neben ihn gestellt und ganz leise, sodass kein anderer es hören konnte, gesagt, dass ich mit niemandem

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