Im Zweifel suedwaerts
schmiss sich dort mit solcher Wucht auf die Matratze, dass das ganze Fahrzeug schaukelte wie ein Ruderboot auf der Nordsee.
12
Der Teil mit den Helden
BETTYS MIXTAPE
Madness – In The Middle Of The Night
Es vergingen drei Stunden und siebzehn Minuten. In dieser Zeit fuhren nicht weniger als vier Autos, ein Kleintransporter und zwei Motorräder an unserem Bus vorbei. Den ersten drei winkten wir noch wie Schiffbrüchige, aber alle fuhren vorbei. Bei den darauffolgenden Fahrzeugen blieben wir lieber am Straßenrand sitzen, weil wir die Vermutung hatten, dass wir die Einheimischen mit unserem Winken eher verscheuchten, als sie zum Anhalten zu bewegen. Aber auch das brachte keinen Erfolg.
Lucy bat in den drei Stunden und siebzehn Minuten ungefähr achtmal um eine Einschätzung, wie lange wir noch an dieser Bergstraße festsitzen würden. Betty und ich antworteten achtmal wahrheitsgemäß, wir wüssten es nicht.
Betty rauchte in drei Stunden und siebzehn Minuten fünfzehn Zigaretten, ich zwölf. Dann war mir übel. Irgendwann kam die Dämmerung und mit ihr Schwärme von Mücken, und wir beschlossen, dass es Zeit war, sich in den Bus zu setzen. Die Stimmung war auf dem Tiefpunkt.
»Und der Wodka ist auch alle.« Betty stöberte in unserer Vorratsbox nach Getränken oder Lebensmitteln, denn wenn man Langeweile hat, dann isst man, oder man trinkt. Oder man raucht, aber das konnten wir beide nicht mehr.
»Draußen ist es ganz dunkel«, bemerkte Lucy, und zog ihre Knie unters Kinn, wie sie es immer tat, wenn sie traurig war oder Angst hatte.
Betty warf einen Blick aus dem Fenster. »Das liegt daran, dass es Nacht ist.« Sie zählte etwas an ihren Fingern ab. »Freitagnacht, genaugenommen. Wir haben zwar keinen Alkohol mehr an Bord, aber wir könnten ein bisschen Musik anmachen. Für das Disco-Feeling.«
»Ich denke, der Bus ist kaputt«, sagte ich.
»Ja und?«
»Wie sollen wir denn bitte die Anlage zum Laufen bringen, wenn das Auto kaputt ist?«
Betty verdrehte die Augen. »Schätzelein, die Anlage läuft über Batterie.«
»Tut mir leid, dass ich keine Ahnung von Autos hab«, fuhr ich sie gereizt an, »aber du verstehst ja offensichtlich auch nicht sehr viel mehr davon, sonst würden wir hier nicht festhängen.«
Dieser Vorwurf brachte Betty für einen Moment aus dem Konzept. Sie sah mich empört mit offenem Mund an und brauchte etwas, um sich zu fangen. »Richtig, Schnuppi«, erwiderte sie schließlich, zuckersüß und giftig zugleich, »ich hab ganz vergessen, dass das ja alles meine Schuld ist. Nachdem ich euch aus Hamburg hierherchauffieren durfte, ruinier ich jetzt die ganze schöne Reise, weil ich nicht noch schnell vor der Abfahrt einen Kfz-Kurs belegt habe. Kannst du mir jemals verzeihen? Bitte sag ja.«
»Na, immerhin mit Sarkasmus kennst du dich aus.«
»Ich muss mal«, murmelte Lucy und schob sich an Betty und mir vorbei zur Schiebetür.
»Immer bergab pinkeln, Lucinda.«
»Okay.« Geduckt stieg sie aus dem Bus und machte die Tür hinter sich zu.
»Genau das ist das Problem mit dir, Betty«, motzte ich sie an. »Du weißt immer ganz genau, wie’s zu laufen hat, und sagst allen, was sie deiner Meinung nach zu tun haben, aber dann, wenn es wirklich drauf ankommt, ziehst du dich aus der Affäre.«
Betty lachte freudlos. » Ich ziehe mich aus der Affäre? Wer lag denn bitte unter dem Bus und hat versucht, die Scheiße in Ordnung zu bringen, hm? Wer hat denn das Warndreieck aufgestellt? Du?«
»Oh, wow!« Ich riss in gespielter Bewunderung die Augen auf. »Kommt mal alle her, das müsst ihr hören! Bettina Jahn hat ein Warndreieck aufgestellt.«
»Ich hasse es, wenn du mich Bettina nennst.«
»Und ich hasse deine selbstgefällige Art, Bettina.«
»Daphne, ich mein’s ernst …«
»Ich auch.«
»Wenn du mich noch einmal Bettina nennst …«
Und dann schrie Lucy. Wie am Spieß. Wir hörten es durch die Blechwände des Busses, doch der Schrei war so laut, es klang, als säße sie direkt neben uns. Dann war es plötzlich gespenstisch still. Betty und ich wechselten einen erschrockenen Blick, rissen die Schiebetür auf, riefen Lucys Namen und versuchten, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Doch da war nichts. Nur pechschwarze Nacht.
»Ich geh sie suchen.«
»Ich komm mit.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Du bleibst hier. Falls sie zurückkommt. Und außerdem … Stell dir vor, dir passiert etwas. Was ist dann mit Max?«
»Was soll mir denn passieren?«
»Dasselbe, was Lucy passiert
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