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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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handeln könnte, erlosch sofort wieder. Es konnte nicht Lucy sein. Lucy war viel kleiner.
    Hektisch knipste ich die Taschenlampe aus. Ein natürlicher Impuls wäre jetzt gewesen, zum Bus zurückzulaufen, aber das war unmöglich, weil meine Füße nach wie vor untrennbar mit dem Straßenbelag verbunden zu sein schienen. Mein Herz raste. Es klopfte in meinen Ohren. Der irre Einsiedler. Da war er also. Noch hatte er mich vielleicht nicht bemerkt, aber im Grunde war mein Schicksal besiegelt. Ich hatte genug Filme dieser Art gesehen, um zu wissen, dass das Böse immer siegte, dass es kein Entkommen gab. So würde ich also sterben. Das hätte ich auch nie gedacht.
    »Lucy!«
    Rief nicht ich. Sondern der irre Einsiedler. Ich schrak zusammen.
    »Lucy, Mädsche! Jetzt komm halt raus!«
    Woher kannte er ihren Namen? Und warum sprach er mit diesem Dialekt?
    Ich nahm all meinen Mut zusammen. »Wer ist da?«, quetschte ich gerade so heraus. Gerade so. Und befahl meinen Beinen mit aller Macht, endlich wieder zu kooperieren. Wobei befehlen das falsche Wort war. Ich befahl nicht, ich flehte sie an, sich bereit zu machen für die Flucht. Es kam hier schließlich auf jede Sekunde an, verdammt noch mal.
    Die Gestalt bewegte sich auf mich zu. »Daphne?«
    Er wusste also auch, wer ich war. Jetzt bekam diese ganze Sache irgendwie einen übersinnlichen Touch.
    Ich machte einen Schritt zurück – na also, ging doch –, knipste mit zitternden Händen die Taschenlampe an, kniff gleichzeitig die Augen zu und brüllte so laut ich konnte: »Keinen Schritt weiter, oder ich schieße!«
    Ja. War mir auch klar, dass ich keine Waffe dabeihatte. Aber um meine Beine wieder zum Leben zu erwecken, hatte mein Gehirn wohl Einbußen hinnehmen müssen.
    Die Antwort des irren Einsiedlers war ziemlich unerwartet. »Ich bin es doch nur«, sagte er.
    Und ich hatte keine andere Wahl, als die Augen zu öffnen und ihn mir genauer anzusehen. Er hielt die Hände gegen den grellen Taschenlampenschein vor sein Gesicht, aber ich erkannte ihn trotzdem. »Marco?«
    »Ei, wer denn sonst?«
    »Ein irrer Einsiedler?«
    »Was?!« Er bewegte seinen Kopf aus dem Lichtschein. »Jetzt nimm doch mal das Ding runter.«
    »Oh. Sorry.« Ich ließ die Taschenlampe sinken und ging auf ihn zu, etwas befangen, weil ich nicht wusste, wie ich ihn begrüßen sollte. Ich hätte ihm um den Hals fallen können, aber ich kam einfach nicht so schnell über die Einsiedler-Sache hinweg. Bis vor einer Sekunde war ich fest davon ausgegangen, diese Gestalt würde mich verschleppen und umbringen. In Anbetracht dessen war mir jetzt selbst ein Händeschütteln zu viel. Also fragte ich bloß: »Hast du Lucy gesehen?«
    Er antwortete »Ja« und schob sich die langen Haare links und rechts hinter die Ohren. »Ihr habt doch echt einen kompletten Rappel, oder? Alle beide.«
    Es dauerte etwas, Lucy aus den Büschen zu locken, in die sie geflüchtet war, als sie beim Bergab-Pinkeln in der Dunkelheit dieses seltsame Wesen um den Bus hatte schleichen sehen.
    »Ich dachte, du wärst ein Monster«, erklärte sie Marco, als sie schließlich zitternd und mit Zweigen im Haar auf der Straße stand.
    »Na, danke auch.«
    »Halb Mensch, halb Tier – also ein Mensch, aber stark behaart – ein Werwolf oder so was.«
    »Lucy, ich glaube, du machst es nicht besser«, unterbrach ich sie.
    »Im Ernst! Ich hatte solche Angst, wenn ich nicht gerade erst … Ich hätte mir in die Hose gemacht, kein Witz.«
    Marco sah mal wieder ziemlich betrübt aus.
    »Und anstatt Betty und mich zu warnen, rennst du einfach weg und überlässt uns unserem Schicksal?«
    »Wieso? Ich hab doch geschrien.«
    Das stimmte allerdings.
    Und als Marco den Schrei gehört und Lucy erkannt hatte, war er ihr sofort hinterhergerannt. »Wer weiß, wie weit sie sonst gelaufen wäre. Und dann in der Dunkelheit … Im besten Fall hätte sie sich verirrt.«
    Vielleicht auch nicht, dachte ich, Lucy hat schließlich eine Menge Erfahrung mit dem Weglaufen.
    »Und im schlimmsten?«, fragte sie ängstlich.
    »Hättest du in eine Schlucht stürzen können.«
    »Oder wärst von einer Bergziege angefallen worden«, ergänzte ich.
    »Bergziege«, flüsterte Lucy atemlos.
    »Na ja, oder einem irren Einsiedler.« Marco grinste mich an.
    Ich boxte ihn in die Seite. »Was machst du überhaupt hier?«, fragte ich ihn und malte mit dem Lichtschein der Taschenlampe Kringel auf die Straße.
    »Es war langweilig ohne euch am Strand. Also bin ich weitergefahren.«
    Wenn du

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