Im Zweifel suedwaerts
dreistöckig, weiß verputzt und eher uncharmant. Es war geisterhaft still. Der ganze Ort wirkte wie ausgestorben, die Fenster waren ausnahmslos hinter Jalousien versteckt, und bei unseren wenigen kurzen Besuchen war uns dort keine Menschenseele begegnet. Fast. Einmal sahen wir eine alte Frau, die im Schneckentempo Einkäufe nach Hause trug, und einmal eine junge Mutter und ihren kleinen Sohn auf einem Dreirad. Das war’s. Hierher kam man, um seine Vorräte aufzustocken, andere Gründe gab es nicht.
Deswegen beeilten wir uns mit unseren Besorgungen. In der kleinen Bäckerei kauften wir weiche, weiße Brötchen und im Minimarkt nebenan noch schnell etwas Käse, Schinken, ein paar Eier und drei Plastikflaschen Wasser, dann waren wir auch schon auf dem Rückweg zu unserem einsamen Traumstrand.
Als wir an dem Bauernhof vorbeikamen, kläffte uns erwartungsgemäß der Schäferhund an, und Lucy, die ohnehin schon so weit wie möglich auf der anderen Seite des Weges ging, beschleunigte ihren Schritt und quietschte ängstlich. Ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so entspannt gewesen war. Seit zwei Nächten schlief ich ohne Knirschschiene. Außerdem hatte ich keinen Handyempfang, wie ich am Tag nach unserer Ankunft festgestellt hatte, als ich mein Telefon wieder anstellen wollte. Kein Handyempfang, keine nervigen Telefonate.
»Na, vermisst da jemand seinen Freund?«, hatte Marco gefragt, der mich beobachtet hatte.
»Ein bisschen?«, hatte ich geantwortet, aber das war nicht die Wahrheit gewesen.
Lucy wartete unter einem der wenigen, niedrigen Bäume am Feldrand auf mich. »Ich hasse diesen Hund«, schimpfte sie mit zitternder Stimme.
»Du hättest auch schlechte Laune, wenn du jeden Tag in dieser Hitze angekettet im Staub liegen müsstest.«
»Wahrscheinlich. Aber wenn er nicht so bösartig wäre, müsste er wahrscheinlich gar nicht an der Kette sein. Dann würde ich ihn vielleicht sogar mitnehmen. Der ist so hübsch weiß und kuschelig.«
Ich musste lachen, weil das typisch Lucy war. Hauptsache flauschig und niedlich und sauber.
Sie atmete genervt aus. »Mann, Daphne, ich hab langsam das Gefühl, es ist total egal, was ich sage, du und Betty lacht mich immer …«
Wir waren nur noch wenige Hundert Meter von dem Parkplatz am Strand entfernt, als wir Betty schreien hörten. Schreien und jämmerlich stöhnen, es klang so alarmierend, dass wir uns einen erschrockenen Blick zuwarfen und den Rest des Weges rannten, wobei ich mir trotzdem Mühe gab, die Eier in meinem Rucksack nicht zu gefährden und Lucy echte Probleme damit hatte, die Wasserflaschen im Griff zu behalten.
Das Schreien wurde lauter, es kam aus Marcos Van und für einen Moment schossen mir schreckliche Gedanken durch den Kopf. Daran, was er mit Betty in seinem Van anstellte. Wie lange schon. Und ich ärgerte mich darüber, dass wir so leichtgläubig gewesen waren, die ganze Zeit geglaubt hatten, er wäre ein netter Kerl. Und dabei hatte er die ganze Zeit nur auf den richtigen Moment gewartet, um unsere Freundin in seine Gewalt zu bringen und … ja was? Ich wollte gar nicht daran denken. Hoffentlich waren wir nicht zu spät. Hoffentlich konnten wir ihr noch helfen.
»Betty!«, rief ich, als wir über den Parkplatz liefen, der Camper-Van noch außer Sichtweite, und dachte: Scheiß auf die Eier.
Ich ließ den Rucksack fallen, beschleunigte noch einmal und blieb abrupt vor der geöffneten Tür von Marcos Van stehen. Dort sah ich Betty, beziehungsweise Bettys nacktes Hinterteil, weil sie vornüber auf Marcos Bett lag und es ihm entgegenstreckte. Dabei schrie sie, während er eine ihrer Pobacken festhielt – und daran saugte.
»Äh …«, machte ich.
Neben mir ließ Lucy die Flaschen fallen und schlug sich die Hände vor die Augen. »Ich hab nichts gesehen«, stammelte sie, während sie sich abwandte und wegging. »Ich hab nichts gesehen. O Gott. O mein Gott. Ich hab nichts gesehen …«
Marco hob irritiert den roten Kopf, erblickte uns und richtete sich auf. Betty jammerte noch immer. Er winkte mir unbeholfen zu und spuckte aus dem Van in den Sand. »Ach, hi!«
»Hallo«, sagte ich matt.
»Scheiße, das brennt so!«, hörte ich Bettys Stimme aus dem inneren des Fahrzeugs. Dann ein Wimmern.
Marco zuckte mit den Schultern. »Wespenstich.«
»Wespenstich«, wiederholte ich langsam.
» O MEIN GOTT! «, rief Lucy aus unserem Bus.
»Man muss das Gift sofort raussaugen.«
»Verstehe.«
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