Im Zweifel suedwaerts
irgendetwas knirschte unter uns, jedes Mal wenn sie den Gang wechselte.
»Ist es bald vorbei?«, jammerte Lucy, die sich hingelegt hatte, weil ihr übel war.
»Lucy, setz dich wieder hin. So wird es nur noch schlimmer.«
Ein Wimmern. »Ich kann nicht.«
»Na gut.« Wirklich schön hier. »Betty, weißt du was ich total gut fände?«
»Hm?«
»Wenn wir mal nicht auf einem Parkplatz übernachten würden, sondern irgendwo in der Natur. Inmitten von Feldern oder Wäldern oder direkt am Meer, ohne Asphalt unter den Rädern …« Die Gangschaltung knirschte wieder. Dann quietschte sie. Betty zog scharf Luft durch die Zähne. »Irgendwo, wo wir morgens aus dem Bus steigen, und da ist kein Mensch und kein anderes Auto und …«
»Anhalten!«, rief Lucy von hinten. Das »Sofort!« brachte sie nur noch teilweise heraus, bevor sie sich die Hand gegen den Mund pressen musste.
»O Gott, Betty, halt an!«, rief ich jetzt auch, nachdem ich mich umgedreht und Lucys bleiches Gesicht gesehen hatte.
Betty fuhr den Bus leise fluchend rechts ran, und noch während sie den Motor abstellte und die Handbremse anzog, riss Lucy die Schiebetür auf, fiel förmlich aus dem Bus in die Büsche, die entlang des Berghangs wuchsen und übergab sich lautstark an Ort und Stelle.
Ich seufzte. »Ich geh mal raus und halt ihr die Haare.«
»Mach das.« Betty, wischte sich den Schweiß von der Stirn und zog ihren Tabakbeutel aus der Tasche. »Und pass auf, dass du über ihr am Hang stehst. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche.«
»Aber von so was hab ich echt überhaupt keine Ahnung«, kam Bettys Stimme unter dem Bus hervor. Ihre Beine schauten zwischen den Hinterrädern hervor, es sah fast so aus, als wäre sie überfahren worden. Dass dem nicht so war, war aber auch der einzige Lichtblick, über den wir uns im Moment freuen konnten.
Eine Mücke piekste mich in den Oberarm, und ich schlug auf die Stelle, verfehlte sie aber. Egal. Sollte sie mich doch stechen. Das machte auch keinen Unterschied mehr. »Und jetzt?«, fragte ich, denn dass der Bus hier stand und nicht weiterfuhr, war ein viel größeres Problem als die juckenden Quaddeln auf meiner Haut.
»Tja, Schätzelein …« Betty kam zwischen den Hinterrädern hervorgerutscht und setzte sich auf. »Du hast dir doch gewünscht, dass wir mal nicht auf einem Parkplatz übernachten. Gratulation: Jetzt übernachten wir auf einer Bergstraße.«
»O nein!« Lucy, die noch immer bleich und wackelig auf den Beinen war, ließ sich verzweifelt auf den Boden fallen und hintenüber kippen. »Das ist alles meine Schuld!«
»Quatsch.«
»Wenn ich nicht hätte kotzen müssen, dann würden wir jetzt nicht hier stehen.«
»Dann würden wir woanders stehen. Ein kaputter Bus ist ein kaputter Bus.« Lässig lehnte Betty sich gegen die Heckklappe und zündete sich eine Zigarette an. »Vielleicht sollten wir Sky anrufen und fragen, ob ihm das auch schon mal passiert ist und was er dann gemacht hat.«
Ich holte mein Handy aus der Tasche und suchte nach Skys Nummer. »Vielleicht kündige ich ihm bei der Gelegenheit auch gleich an, dass ich Tofu aus ihm machen werde, wenn sich herausstellt, dass er uns in einem kaputten Bus quer durch Europa hat fahren lassen.«
»Hackfleisch«, korrigierte Lucy mich mit schwacher Stimme. »Man macht Hackfleisch aus jemandem.«
»Nein, Tofu. Sky ist Vegetarier.« Ich fand die Nummer, drückte auf Wählen … und nichts passierte. Irritiert untersuchte ich das Display. »Kein Netz.«
»Wir werden sterben!«
»Richtig, Lucinda, wir werden sterben. Irgendwann. Wenn wir alt sind.«
Das nutzlose Handy wanderte zurück in meine Hosentasche. »Sterben mal beiseite: Was machen wir jetzt?«
»Abwarten.« Betty inhalierte einen Mundvoll Rauch und blies ihn langsam wieder aus. »Früher oder später kommt Hilfe. Das ist hier ja nicht der Nordpol. Uns sind genug andere Fahrzeuge auf dem Weg begegnet, da werden schon noch ein paar mehr kommen.« Sie stieg in den Bus, zog nach etwas Herumgesuche ein Warndreieck unter dem Fahrersitz hervor – »Ich hätte nicht gedacht, dass Sky so etwas überhaupt dabeihat« – und stellte es einige Meter bergab auf der Straße auf. Dann setzte sie sich an den Straßenrand in den Schatten, drückte ihre Zigarette aus, kreuzte die Hände hinter ihrem Kopf und schloss die Augen.
»Das war’s?«, fragte ich.
»Das war’s«, antwortete Betty.
»Ich wünschte, wir wären noch am Sonnenstrand«, heulte Lucy, stapfte an uns vorbei in den Bus und
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