Im Zwiespalt der Gefuehle
die Lankonier verboten hatten. Sie wählten sechs stämmige Arbeiter aus und befahlen ihnen, den Baumstamm als Ramme zu benutzen.
Rowan saß steif und sehr gerade auf seinem Pferd und sah zu, wie die Männer wieder und wieder gegen das rostige Tor anrannten. Es rührte sich nichts. Rowan wagte es nicht, in die höhnisch grinsenden Gesichter der Lankonier zu schauen.
»Das Tor ist zugeschmiedet. Es öffnet sich nicht«, erklärte Xante, und Rowan konnte förmlich das überlegene Lächeln aus seiner Stimme heraushören.
Rowan ahnte, daß irgendein Aberglaube mit diesem Tor verbunden war. Aber er wäre eher gestorben, als danach zu fragen. Außerdem zählte der primitive Aberglaube dieser arroganten Männer in seinen Augen weniger als die Notwendigkeit, dieses Tor zu öffnen! »Ich werde dieses Tor öffnen«, beharrte er und stieg ab. Er wich den Blicken der Lankonier aus.
Er hatte sein Streitroß und die seiner Ritter dabei. Es waren schwere, kräftige Tiere, die Tonnen ziehen konnten. Da die Ramme keine Wirkung gezeigt hatte, konnte er] vielleicht Ketten über das Tor werfen, und die Pferde könnten es niederreißen.
Die Menge scharte sich um ihn. Alle wollten sehen, wie der englische Prinz sich zum Narren machte. Von den Mauern sahen die Wachen amüsiert zu. Da dachte also Thals schwächlicher Balg, er könnte das heilige Helenentor öffnen!
»Xante«, brüllte jemand herunter. »Ist das etwa unser neuer König? «
In Rowans Ohren dröhnte ein häßliches Gelächter, als er auf das Tor zuschritt. Lora hatte recht. Er hätte gleich am ersten Tag ein paar Männer zum Kampf herausfordern sollen. Damit wäre klar geworden, wer die Befehlsgewalt hatte…
Er stand nun vor dem Tor und betrachtete es. Es sah sehr alt aus. Rost und dornige Kletterpflanzen bedeckten es. Er schob die Ranken beiseite. Die Domen rissen seine Handflächen blutig. Rowan achtete nicht darauf, sondern musterte genau das alte Schloß des Tores. Es schien solide zu sein. Keine Schwachstelle war zu entdecken. Soweit er es beurteilen konnte, hatte die Ramme gar nichts ausgerichtet.
»Dieser blonde Engländer glaubt wirklich, er könnte das Tor öffnen? « höhnte ein Mann.
»Hat ihm denn niemand gesagt, daß nur ein Lankonier es aufkriegt? «
Die Menge lachte spöttisch.
»Ich bin Lankonier«, flüsterte Rowan. Seine Augen waren auf das Tor gerichtet. »Ich bin lankonischer, als sie ahnen. Gott, hilf mir. Ich flehe dich an! Hilf mir! «
Er legte seine blutenden Handflächen auf die rostige Oberfläche des Tors und beugte sich vor, um das Schloß besser begutachten zu können.
Er fühlte, wie das Tor unter seinen Händen zu zittern begann.
»Öffne dich«, flüsterte er. »Öffne dich für deinen lankonischen König! «
Rost bröckelte von oben herunter und rieselte auf sein Haar und sein Gesicht. »Ja! « stöhnte er, schloß die Augen und legte seine ganze Kraft in seine Hände. »Ich bin dein König! Öffne dich! Ich befehle es dir! «
»Seht mal! « schrie eine Stimme hinter ihm. »Das Tor bewegt sich! «
Die Menge und die Wachen wurden ganz still, als das alte Tor zu knirschen begann. Es schien zu zittern — ganz wie ein lebendes Wesen.
Es herrschte vollkommene Stille, als das alte Eisenschloß vor Rowans Füßen fiel. Er schob die linke Hälfte etwa einen Meter weit zurück. Die verrosteten Türangeln quietschten protestierend.
Rowan drehte sich zu seinen Männern um. »Fahrt jetzt die Gepäckwagen durch«, ordnete er an. Plötzlich fühlte] er sich sehr, sehr müde.
Aber niemand bewegte sich. Die Engländer sahen auf die Lankonier, die zu Hunderten Rowan mit großen Augen anstarrten.
»Was stimmt denn jetzt schon wieder nicht«, brüllte Rowan zu Xante hinauf. »Ich habe das Tor geöffnet — also benutzt es gefälligst! «
Immer noch regte sich niemand. Montgomery flüsterte: »Was ist nur los mit ihnen? «
Xante stieg langsam wie ein Schlafwandler vom Pferd. Durch die herrschende Stille wirkten seine Bewegungen dramatisch und bekamen eine besondere Bedeutung. Rowan beobachtete ihn und fragte sich, was dieser Mann jetzt plante, um ihm seine Verachtung zu zeigen.
Doch zu Rowans Überraschung blieb Xante direkt voll ihm stehen. Dann fiel er auf die Knie, beugte das Haupt und sagte: »Lang lebe Prinz Rowan! «
Rowan sah zu Lora, die ihn vollkommen verblüfft anstarrte.
»Lang lebe Prinz Rowan«, rief eine andere Stimme, und bald brauste der Ruf durch die Menge und wurde zum Schrei.
Watelin, Rowans Ritter und ein sehr
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