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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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umarmen, um ihm zu sagen, daß er sich keine Sorgen zu machen brauchte; ein anderer Aspekt seines Selbst dachte entsetzt daran, daß der Mystif tatsächlich zu ihm kam und dadurch dem Beobachter sein ›Versteck‹ verriet. Schließlich stellte Pie aber offensichtlich die Suche ein und wandte sich den Sicherheit verheißenden Straßen von Beatrix zu.
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    Gentle verharrte auch weiterhin in Reglosigkeit. Er wartete noch eine Viertelstunde lang, bis seinen schmerzenden Augen am gegenüberliegenden Hang eine Bewegung auffiel. Offenbar gab der Unbekannte seinen Posten auf und wich in die Schatten zurück. Gentle sah seine Silhouette, als sich der Fremde anschickte, hinter der Kuppe des Hügels zu verschwinden. Der Schemen bestätigte ihm, daß es sich um einen Menschen handelte, zumindest in bezug aufs äußere Erscheinungsbild.
    Eine weitere Minute lang übte er sich in Geduld und begann mit dem Abstieg. Beine und Arme waren taub; die Zähne klapperten. Kälte hatte seinen Körper fast bewegungsunfähig gemacht, doch Gentle versuchte, nicht darauf zu achten.
    Mehrmals verlor er das Gleichgewicht, fiel und rutschte einige Meter weit in die Tiefe, zur großen Überraschung einiger dö-
    sender Doeki. Vor der Tür von Larumdays Haus wartete Pie auf ihn. Zwei gesattelte und mit Zaumzeug ausgestattete Reittiere standen auf der Straße; Efreet fütterte eins davon.
    »Wo bist du gewesen?« fragte der Mystif. »Ich habe nach dir gesucht.«
    »Ich erkläre es dir später«, sagte Gentle. »Zuerst möchte ich mich aufwärmen.«
    »Dafür haben wir keine Zeit. Die Abmachung lautet: Wir bekommen die beiden Doeki, Nahrungsmittel und warme Kleidung, wenn wir sofort aufbrechen.«
    »Das klingt so, als wollte man uns ganz plötzlich loswerden.«
    »In der Tat«, ertönte eine Stimme unter den nahen Bäumen.
    Ein Schwarzer mit hellen, hypnotisch blickenden Augen trat aus den Schatten.
    »Sind Sie Zacharias?«
    »Ja.«
    »Ich bin Coaxial Tasko, beziehungsweise der Arme Tasko, wie man mich auch nennt. Die Doeki gehören Ihnen. Ich habe dem Mystif Proviant und so weiter gegeben, aber bitte... Sagen 300

    Sie niemanden, daß Sie als Besucher in diesem Tal weilten.«
    »Er glaubt, wir bedeuten Unheil«, erklärte Pie.
    »Vielleicht hat er recht«, sagte Gentle. »Darf ich Ihnen die Hand schütteln, Tasko? Oder befürchten Sie, daß auch dadurch Verderben heraufbeschworen wird?«
    »Sie dürfen mir die Hand schütteln«, erwiderte der Mann.
    »Danke für die Tiere. Ich verspreche Ihnen, daß wir niemandem verraten werden, hiergewesen zu sein. Aber vielleicht möchte ich Sie in meinen Memoiren erwähnen.«
    Ein Lächeln lockerte Taskos ernste Züge.
    »Von mir aus.« Er reichte Gentle die Hand. »Aber erst nach meinem Tod. Ich mag es nicht, Aufsehen zu erregen.«
    »Abgemacht.«
    »Und nun... Je eher Sie fort sind, desto eher können wir vorgeben, Sie nie gesehen zu haben.«
    Efreet trat näher und reichte Gentle einen Mantel, den er sofort überstreifte. Er reichte ihm bis zu den Schienbeinen und roch stark nach dem Tier, von dem er stammte, aber er schenkte willkommene Wärme.
    »Meine Mutter läßt sie grüßen«, sagte der Junge. »Sie kommt nicht nach draußen, um sich selbst von Ihnen zu verabschieden.« Seine Stimme wurde zu einem verlegenen Flüstern, als er hinzufügte: »Sie weint dauernd.«
    Gentle wollte zum Haus gehen, aber Tasko versperrte ihm den Weg. »Ich bitte Sie, Zacharias - keine Verzögerungen.
    Gehen Sie jetzt, mit unserem Segen. Wenn Sie noch länger warten, werden Sie von unseren Flüchen begleitet.«
    »Er meint es ernst«, betonte Pie und schwang sich auf den Rücken seines Doeki. Das Tier wandte den Kopf und musterte seinen Reiter. »Wir müssen los.«
    »Beraten wir nicht einmal, welchen Weg wir nehmen sollen?«
    »Tasko hat mir einen Kompaß und Richtungshinweise gegeben«, sagte der Mystif. »Wir reiten dort entlang.« Er deutete zu 301

    einem schmalen Pfad, der vom Dorf aus über den Hang führte.
    Widerstrebend setzte Gentle den Fuß in einen ledernen Steigbügel, und kurz darauf saß er ebenfalls im Sattel. Nur Efreet brachte ein ›Auf Wiedersehen‹ hervor und forderte Taskos Zorn heraus, indem er nach Gentles Hand griff.
    »Eines Tages sehen wir uns in Patashoqua«, meinte der Junge.
    »Das hoffe ich«, antwortete Zacharias.
    Und damit war die Verabschiebung auch schon beendet.
    Gentle hatte das Gefühl, ein Gespräch mitten in einem Satz zu unterbrechen, dessen Rest nun für immer unausgesprochen

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