Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
streckte die Hand nach der Lampe auf dem Nachtschränkchen aus. Sie warf einen nur matten Schein, doch in der Dunkelheit war es trotzdem zu hell. Judith wollte schon Einwände erheben, als sie sah, daß er nach der Wunde an seiner Seite tastete - ihr Treiben hatte sie wieder geöffnet. Blut quoll daraus hervor und rann in 403

    zwei Richtungen: über den Bauch zum erschlafften Glied, und an der Hüfte entlang zum Laken.
    »Sei unbesorgt«, sagte er, als sie aufstehen wollte. »Es sieht schlimmer aus, als es ist.«
    »Wie dem auch sei, die Blutung muß gestillt werden«, erwiderte Jude.
    »Es handelt sich um gutes Godolphin-Blut«, meinte Oscar, lächelte und schnitt gleichzeitig eine Grimasse. Sein Blick glitt zum Porträt. »Es ist immer in Strömen geflossen.«
    »Er scheint nicht viel von uns zu halten«, entgegnete Judith.
    »Ganz im Gegenteil. Er hätte dich sicher bewundert. Joshua mochte Leidenschaft.«
    Jude sah wieder auf die Wunde: Blut tropfte zwischen Oscars Fingern hervor.
    »Bitte gib mir die Möglichkeit, dich zu verbinden«, sagte sie und deutete auf das Blut. »Mir ist nicht wohl dabei.«
    »Für dich bin ich zu allem bereit.«
    »Hast du Verbandszeug?«
    »Dowd hat vermutlich welches, aber ich möchte nicht, daß er von uns erfährt. Zumindest noch nicht. Es soll zunächst unser Geheimnis bleiben.«
    »Das wir nur mit Joshua teilen.« Judith zeigte kurz zum Bild über dem Bett.
    »Selbst Joshua weiß nicht, was sich zwischen uns abgespielt hat«, sagte Oscar. In seiner Stimme erklang keine Ironie.
    »Warum habe ich wohl das Licht ausgeschaltet?«
    Jude ging ins Bad und suchte dort nach einem sauberen Handtuch. Unterdessen sprach Godolphin durch die offene Tür.
    »Übrigens - ich habe es ernst gemeint.«
    »Was?«
    »Für dich bin ich wirklich zu allem bereit. Zumindest zu allem, was in meiner Macht steht. Ich möchte, daß du bei mir bleibst, Judith. Ich bin kein Adonis - das ist mir klar. Aber ich habe viel von Joshua gelernt. Im Hinblick auf Leidenschaft, 404

    meine ich.« Als Jude aus dem Bad kam, betonte er noch einmal: »Alles, was du willst...«
    »Du bist sehr großzügig.«
    »Es ist mir eine Freude, dir ein solches Angebot zu unterbreiten.«
    »Ich glaube, du weißt bereits, was ich mir am meisten wünsche.«
    Oscar schüttelte den Kopf. »Bei Ratespielen bin ich nie besonders gut gewesen. Was wünschst du dir?«
    Judith setzte sich auf die Bettkante, löste vorsichtig Godolphins Hand von der Wunde und wischte das Blut zwischen seinen Fingern fort.
    »Sag's mir«, drängte Oscar.
    »Na schön.« Jude atmete tief durch. »Ich möchte diese Domäne verlassen. Ich möchte, daß du mir Yzordderrex zeigst.«
    405

KAPITEL 25
l
    Vor zweiundzwanzig Tagen hatten Pie und Gentle die Eiswüsten der Jokalaylau verlassen und das mildere Klima der Dritten Domäne erreicht. Sie reisten durch die verschiedenen Regionen, und ihre Erfahrung wuchs - auch ihre Barschaft, da sie bei Glücksspielen erfolgreich gewesen waren. Jetzt standen sie am Bahnsteig außerhalb des Ortes Mai-Ke und warteten auf den Zug, der einmal pro Woche von Iahmandhas im Nordosten kam, um von hier aus die Fahrt nach der eine halbe Tagesreise weiter im Süden gelegenen Stadt L'Himby fortzusetzen.
    Sie wollten so schnell wie möglich aufbrechen und fort. In den vergangenen drei Wochen hatten sie mehrere Ortschaften besucht, doch der Aufenthalt in Mai-Ke erwies sich als unangenehm. Aus gutem Grund. Die Bewohner der kleinen Stadt fühlten sich immer mehr von den beiden Sonnen der Dritten bedroht - schon seit sechs Jahren blieb der Regen aus, der sonst Getreide aus dem fruchtbaren Boden hervorsprießen ließ. Die Felder und Äcker schienen jetzt nur noch aus Staub zu bestehen, und allmählich gingen die Nahrungsmittelvorräte zur Neige. Eine Hungersnot stand unmittelbar bevor, und niemand im Ort fand Gefallen an der Vorstellung, Fremde zu bewirten.
    In der vergangenen Nacht hatten die Bürger laut in den Straßen gebetet und Prozessionen veranstaltet, angeführt von Priestern, die den Eindruck erweckten, um ihre persönliche Zukunft zu fürchten. Der nächtliche Lärm hätte selbst die barmherzigste aller Gottheiten verärgert, meinte Gentle. Und er hinderte die beiden Reisenden daran, Ruhe zu finden - was ihre jetzige Gereiztheit erklärte.
    Es gab auch noch andere Leute, die auf den Zug warteten.
    Ein Bauer aus Mai-Ke hatte eine kleine Herde aus Schafen auf 406

    den Bahnsteig geführt - einige der Tiere waren so abgemagert, daß sie

Weitere Kostenlose Bücher