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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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einige Wochen später trotz der vielen Wunder in den zusammengeführten Domänen langweilen würde, so hätte Gentle über die Unsinnigkeit einer solchen Behauptung gelacht. Der goldfarben und grün schimmernde Himmel sowie die Türme von Patashoqua stellten endlose Abenteuer in Aussicht. Und als sie Beatrix erreicht hatten - er verband noch immer angenehme Erinnerungen damit, obgleich jener Ort von Zerstörung und Tod heimgesucht worden war -, kam er sich fast wie ein gewöhnlicher Tourist im Ausland vor. Anders ausgedrückt: Er rechnete mit gelegentlichen Überraschungen, doch sein Denken und Empfinden basierte auf der Überzeugung, daß die Präsenz von intelligenten, neugierigen Zweibeinern eine Konstante unter allen Himmeln war. Zugegeben, während der letzten Tage hatten sie Erstaunliches gesehen, aber Gentle glaubte sich durchaus imstande, von solchen Dingen daheim zu träumen, entweder im Schlaf oder mit Hilfe einer gehörigen Portion Alkohol.
    Sicher, Zacharias entsann sich an Großartiges, doch auch an 409

    Stunden, die von Mühsal, Langeweile und Banalität geprägt wurden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Auf dem Weg nach Mai-Ke hatte man sie eingeladen, in einem kleinen, namenlosen Dorf zu verweilen und dort an einem Fest teilzunehmen, bei dem es darum ging, Esel zu ertränken. Der Ursprung dieses Rituals verlor sich in grauer Vorzeit. Gentle und Pie lehnten ab, und Zacharias meinte, damit sei sicher der Tiefpunkt ihrer Reise erreicht. Anschließend setzten sie den Weg auf der Ladefläche eines Wagens fort, dessen Fahrer ihnen folgendes mitteilte: Das Fahrzeug diente seiner Familie schon seit sechs Generationen als Dung-Transporter. Ausführlich schilderte er den Lebenszyklus der traditionellen Feinde seiner Familie: Die sogenannten Pensanu, beziehungsweise Kotverderber, konnten eine ganze Wagenladung Dung mit einer einzigen Ausscheidung ungenießbar machen. Gentle und Pie erkundigten sich nicht danach, wer in dieser Region derartige Nahrung bevorzugte, aber während der nächsten Tage sahen sie argwöhnischer als sonst auf ihre Teller.
    Zacharias saß auf der Bank, stieß mit der Stiefelspitze harte Schafsbohnen beiseite und dachte an den bisherigen Höhepunkt ihrer Reise durch die Dritte Domäne: die Stadt Effatoi, der Gentle den Spitznamen ›Attaboy‹ gegeben hatte.
    Sie war nicht sehr groß - ihre Größe entsprach etwa der von Amsterdam, und Effatoi zeigte auch ähnlichen Charme -, aber sie galt als Paradies für Spieler und lockte Risikofreudige aus der ganzen Domäne an. In Attaboy konnte man sich mit jedem nur erdenklichen Spiel die Zeit vertreiben. Wer in Kasinos oder auf den Hahnenkampfplätzen keinen Kredit bekam, hatte die Möglichkeit, mit irgendeinem Verzweifelten um die Farbe seines nächsten Urins zu wetten. Gentle und der Mystif arbeiteten auf eine Weise zusammen, der etwas Telepathisches anhaften mußte, und so verdienten sie ein kleines Vermögen in nicht weniger als acht verschiedenen Währungen. Das Geld ge-410

    nügte für Kleidung, Essen und Fahrkarten bis nach Yzordderrex. Zacharias hatte sich in Effatoi sehr wohl gefühlt, und der Grund dafür war keineswegs der Mangel an finanziellen Problemen gewesen, sondern eine lokale Köstlichkeit: ein strudelartiger Kuchen mit der herrlich süßen Mischung aus Pfirsich und Granatapfel. Er aß ihn vor dem Spiel, um Elan zu bekommen; er verspeiste ihn während des Spiels, um die Nerven zu beruhigen; und er genoß ihn nach dem Spiel, um den Gewinn zu feiern. Pie versicherte ihm, daß es diese Spezialität auch anderenorts gebe (außerdem waren sie jetzt reich genug, um sich einen eigenen Bäcker zu leisten), und nur deshalb war Gentle schließlich bereit, Attaboy zu verlassen. L'Himby lockte.
    Er erinnerte sich an die mahnenden Worte des Mystifs: »Wir müssen weiter. Scopique wartet...«
    »Aber bestimmt nicht auf uns.«
    »Er wartet auf mich«, sagte Pie.
    »Wie lange bist du nicht mehr in L'Himby gewesen?«
    »Ich habe die Stadt zum letztenmal vor etwa... zweihundert-dreißig Jahren besucht.«
    »Dann ist dein Freund sicher längst tot.«
    »Nein«, widersprach der Mystif. »Scopique lebt. Und du mußt unbedingt mit ihm sprechen, Gentle. Gerade jetzt, da sich so viele Veränderungen ankündigen.«
    »Wenn du solchen Wert darauf legst... na schön. Wie weit ist L'Himby entfernt?«
    »Eine Tagesreise mit dem Zug.«
    Bei jener Gelegenheit hörte Zacharias zum erstenmal von der eisernen Straße zwischen Iahmandhas und L'Himby, zwei Städten,

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