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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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sie wußten, daß ihnen die Fahrt zum Schlachthof bevorstand -, und auf dem Bahnsteig fanden erneut tränenreiche Abschiedsszenen statt. Nicht nur das Schluchzen drang durch die Fenster, sondern auch der von den Tieren ausgehende Gestank und die allgegenwärtigen Zarzis.
    Glücklicherweise ignorierten jetzt die Insekten Gentle; ihr Interesse galt den beiden Brüdern und ihrer Mahlzeit.
    Stundenlanges Warten und die Übelkeit hatten Zacharias erschöpft. Er döste ein; nach einer Weile schlief er so tief und fest, daß ihn das laute Schnaufen der Lokomotive nicht weckte.
    Als er die Lider hob, waren sie bereits seit zwei Stunden unterwegs. Jenseits der Fenster hatte sich kaum etwas geändert.
    Wie bei Mai-Ke erstreckte sich eine graubraune Landschaft bis zum Horizont. Hier und dort standen aus Schlamm errichtete Häuser, kleinen Buckeln gleich, die aus dem Boden ragten.
    Gelegentlich kam der Zug an ärmlichen Bauernhöfen vorbei, 419

    die entweder mit einer Quelle gesegnet oder aber besser bewässert waren als andere Bereiche: Dort gedieh das Leben.
    Noch seltener beobachtete Gentle Leute, die eine gute Ernte einbrachten. Doch sonst bot sich ihm der von Hairstone Banty vorausgesagte Anblick. Er hörte jetzt noch einmal ihre Stimme: Viele Stunden lang führen die Schienen durch totes Land, und anschließend reist ihr durch die Steppe; euer Weg führt über die Drei Flüsse zur Provinz Bern, deren Hauptstadt L'Himby heißt. Zacharias bezweifelte Bantys prophetische Kompetenz.
    Zu jenem Zeitpunkt hatte sie ein Kraut geraucht, das zu scharf roch, um nur Entspannung zu schenken, und ihre Lippen zeigten etwas, das in Mai-Ke sehr selten war: ein Lächeln.
    Aber ob high oder nicht - Hairstone kannte die Geographie ihrer Welt.
    Gentle ließ die Gedanken treiben, und nach einer Weile dachte er wieder an den Ursprung der Kraft, die Pie irgendwie in ihm geweckt hatte. Wenn es dabei um etwas ging, das in allen Menschen schlief, eine passive Eigenschaft, die nur berührt werden wollte, um sich zu entfalten - warum gab es der Mystif nicht ganz offen zu? Im Gebirge hatte Gentle bewiesen, daß er durchaus zu einer geistigen Verschmelzung bereit war.
    Spürte Pie Verlegenheit, wenn er sich daran entsann? Kam der verbale Angriff auf dem Bahnsteig einem Versuch gleich, neue Distanz zwischen ihnen zu schaffen? Wenn es Pie'oh'pah darum ging, so erreichte er das angestrebte Ziel: Einen halben Tag lang waren sie jetzt unterwegs, ohne ein Wort gewechselt zu haben.
    Während des heißen Nachmittags hielt der Zug in einem kleinen Ort, und dort verließen die Reisenden aus Mai-Ke die Waggons. Insgesamt vier Verkäufer stiegen ein und boten den übrigen Passagieren Erfrischungen an. Einer von ihnen trug ein Tablett mit Süßigkeiten, und Gentle entdeckte eine Variante des strudelartigen Kuchens, der ihn fast dazu veranlaßt hätte, in Attaboy zu bleiben. Er wählte drei Stücke und ließ sich auch 420

    zwei Becher mit gut gezuckertem Kaffee reichen. Diese Mischung verdrängte schon bald die Müdigkeit aus ihm. Was den Mystif betraf... Er kaufte und aß Fisch; der davon ausgehende Geruch trieb Zacharias noch weiter von ihm fort.
    Als draußen eine laute Stimme erklang und die Fortsetzung der Reise ankündigte, sprang Pie plötzlich auf und eilte zur Tür. Gentle dachte erschrocken daran, daß ihn der Mystif vielleicht verlassen wollte, aber er hatte nur einen Stand mit Zeitungen entdeckt, kaufte eine und kehrte hastig zurück, als der Zug anrollte. Er setzte sich neben die Reste der Fischmahlzeit, öffnete die Zeitung - und pfiff leise durch die Zähne.
    »Das solltest du dir ansehen, Gentle.«
    Pie'oh'pah reichte ihm die Zeitung hinüber. Die Schlagzeile bestand aus seltsamen Symbolen und blieb völlig unverständlich für Zacharias, aber das spielte kaum eine Rolle.
    Die Bilder darunter waren deutlich genug. Sie zeigten einen Galgen mit sechs Personen, daneben Fotos der Betreffenden.
    Zu ihnen gehörten auch Hammeryock und Pontifex Farrow, die Gesetzeshüter aus Vanaeph. Weiter unten bemerkte Gentle eine kunstvolle Zeichnung, die den verrückten Beschwörer Tick Raw darstellte.
    »Hm...«, murmelte er. »Sie haben also ihre wohlverdiente Strafe bekommen. Das sind die besten Nachrichten seit Tagen.«
    »Nein, das sind sie nicht«, widersprach Pie.
    »Hast du vergessen, daß uns Hammeryock und Farrow umbringen wollten?« Gentle versuchte, die Zanksucht des Mystifs einfach zu ignorieren. »Ich weine ihnen bestimmt keine Träne nach und frage mich

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