Imagica
nur, weswegen man sie aufgehängt hat. Haben sie vielleicht versucht, das Fröhliche Ti'
Ti' zu stehlen?«
»Das Fröhliche Ti' Ti' existiert überhaupt nicht.«
»Es war nur ein Scherz, Pie«, sagte Gentle.
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»Ein Scherz, den ich nicht für komisch halte«, kommentierte der Mystif ernst. »Was den Grund für die Hinrichtung angeht...« Er bewegte sich zu Gentle vor. »Vor einer Woche wurden Hammeryock und die anderen zum Tode verurteilt, weil sie angeblich einen Mordanschlag auf den Autokraten verübten, während ihn eine Friedensmission nach Vanaeph führte.«
»Jetzt beliebst du zu scherzen, wie?«
»Nein. Es steht hier in der Zeitung.«
»Hatten die Attentäter Erfolg?«
»Natürlich nicht.« Pie schwieg und las erneut. »Die Bombenexplosion brachte drei Berater um und verletzte elf Soldaten. Der Sprengkörper - warte, mein Omootajivac ist ein wenig eingerostet... Pontifex Farrow schmuggelte den Sprengkörper in die Nähe des Autokraten. Die Verschwörer wurden lebend gefaßt, jedoch tot gehängt. Was bedeutet, daß sie während der Folter starben. Die ›Hinrichtung‹ diente allein als Spektakel für die Öffentlichkeit.«
»Das ist barbarisch!«
»So etwas geschieht häufig, insbesondere bei politischen Prozessen.«
»Und Tick Raw? Warum ist er ebenfalls abgebildet?«
»Er gilt als Komplize, aber offenbar gelang ihm die Flucht.
Verdammter Narr...«
»Warum verfluchst du ihn?«
»Weil er sich in politische Dinge einmischte, obwohl viel mehr auf dem Spiel steht. Natürlich passiert es weder zum ersten- noch zum letztenmal...«
»Ich verstehe kein Wort.«
»Manchmal haben die Leute das Warten satt, und dann lassen sie sich zu politischem Engagement verführen. Aber ein solches Verhalten ist kurzsichtig. Dummer Kerl.«
»Wie gut kennst du ihn?«
»Wen? Tick Raw?« Ein Schatten der Verwirrung huschte 422
über Pies Züge, löste sich jedoch sofort wieder auf. »Er hat...
einen gewissen Ruf. Und bestimmt findet man ihn bald.
Nirgends in den Domänen gibt es eine Kloake, die ihn auf Dauer verbergen kann.«
»Warum sollte dir irgend etwas an seinem Schicksal gelegen sein?«
»Sprich leise.«
»Beantworte meine Frage«, drängte Zacharias und senkte dabei die Stimme.
»Er war ein Maestro, Gentle. Er bezeichnete sich als Beschwörer, aber es läuft aufs gleiche hinaus: Tick Raw gebot über Macht.«
»Warum lebte er dann mitten in dem großen Dunghaufen namens Vanaeph?«
»Manche Personen interessieren sich nicht nur für Luxus und Frauen, Gentle. Manche Leute erhoffen sich mehr.«
»Zum Beispiel?«
»Weisheit. Erinnerst du dich an den Grund für unsere Reise?
Wir wollen verstehen lernen. Das ist eine ehrenvolle Absicht.«
Pie musterte Gentle, stellte zum erstenmal seit der Sache auf dem Bahnsteig einen Blickkontakt mit ihm her. »Es ist deine ehrenvolle Absicht, mein Freund. Du hast viel mit Tick Raw gemein.«
»Wußte er das?«
»O ja...«
»War er deshalb so sauer, als ich mich nicht hinsetzen wollte, um mit ihm zu reden?«
»Ich glaube schon.«
»Mist!«
»Hammeryock und Farrow haben uns vermutlich für Spitzel gehalten, die Pläne gegen den Autokraten ausspionieren wollten.«
»Aber Tick Raw erkannte die Wahrheit.«
»Ja«, bestätigte Pie'oh'pah. »Früher war er ein großartiger 423
Mann. So sagt man jedenfalls. Jetzt ist er wahrscheinlich tot...
Oder er wird gefoltert. Und das sind sehr schlechte Nachrichten für uns.«
»Hältst du es für möglich, daß er unsere Namen nennt?«
»Wer weiß? Maestros kennen Mittel und Wege, den Qualen der Folter zu widerstehen. Aber selbst der stärkste Mann zerbricht, wenn man den richtigen Druck auf ihn ausübt.«
»Soll das heißen, der Autokrat ist hinter uns her?«
»Davon hätten wir sicher etwas gemerkt. Seit Vanaeph haben wir einen weiten Weg zurückgelegt. Wenn es Verfolger gibt, so haben sie bestimmt unsere Spur verloren.«
»Außerdem - vielleicht ist Tick gar nicht verhaftet worden?«
entgegnete Gentle. »Vielleicht gelang ihm die Flucht?«
»Trotzdem... Hammeryock und die Pontifex gerieten in Gefangenschaft. Wir müssen von der Annahme ausgehen, daß eine haargenaue Beschreibung von uns vorliegt.«
Zacharias lehnte sich zurück. »Eine üble Angelegenheit«, murmelte er. »Wir finden nicht gerade viele Freunde, oder?«
»Noch ein Grund mehr, um zusammenzubleiben«, erwiderte der Mystif. Die Waggons des Zuges rollten nun an Bambus vorbei, und ein seltsames Wechselspiel aus Schatten und Licht flackerte über
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