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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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neue Reichtum fand überall und auf unterschiedliche Weise Ausdruck: in glänzenden Gebäuden (viele von ihnen erweckten den Eindruck, als sei die Farbe an den Türen und Fenstern noch nicht trocken); in der teuren Kleidung der Fußgänger auf den Bürgersteigen; in den vielen schnittigen Autos. Einige Dinge erinnerten noch an jene Kultur, die hier vor dem ökonomischen Boom existiert hatte: Hier und dort stapften Lasttiere zwischen den Fahrzeugen, und kaum ein Autofahrer versäumte es, sie lautstark zu verfluchen; in einigen Fällen hatte man die Fassaden alter Gebäude auf recht ungeschickte Weise in neue Bauwerke integriert. Und dann die lebenden Fassaden, die Bewohner von L'Himby... Sie offenbarten eine ihre Körper betreffende Besonderheit, die allein auf diese Region beschränkt blieb: Kleine, gelb und purpurn glänzende Kristalle wuchsen auf ihren Köpfen, manchmal in Form von Kronen oder Hahnenkämmen; gelegentlich ragten die Gebilde auch aus der Stirn oder schimmerten an den Mundwinkeln. Soweit Pie darüber Bescheid wußte, erfüllten die Kristallgewächse keinen konkreten Zweck, und allem Anschein nach galten sie bei der hiesigen Schickeria als abscheuliche Entstellung. Wer es sich leisten konnte, ließ sie operativ entfernen, schritt stolz ohne Hut umher und zeigte die Narben als Beweis für Wohlstand.
    »Grotesk«, meinte Pie'oh'pah, als Gentle ihn darauf ansprach. »Ein typisches Beispiel für den schädlichen Einfluß der Mode. Diese Leute wollen aussehen wie die Fotomodelle in den Zeitschriften aus Patashoqua, und die Modeschöpfer in Patashoqua haben sich ihre Inspirationen immer aus der Fünften Domäne geholt. Was für Narren! Sieh nur! Wenn wir 427

    hier das Gerücht in Umlauf brächten, in Paris sei es der letzte Schrei, sich den rechten Arm abzuschneiden..., dann lägen überall abgehackte Gliedmaßen herum.«
    »Früher ging's hier anders zu?«
    »Ja, soweit es L'Himby betrifft. Wie ich schon sagte: Dies war ein Ort der Meditation. Bei Patashoqua liegt der Fall ganz anders - dort war der Einfluß der Fünften immer sehr stark.
    Einige unbedeutende Maestros sind praktisch ständig zwischen den Domänen unterwegs und bringen neue Stile mit, neue Ideen. Einige von ihnen haben die Sache zu einem Geschäft entwickelt: Alle zwei oder drei Monate durchqueren sie das In Ovo, um Nachrichten von der Erde zu holen und sie an Modehäuser, Architekten und so weiter zu verkaufen. Wie dekadent! Es widert mich an.«
    »Aber du hast dich ebenso verhalten, nicht wahr?«
    entgegnete Zacharias. »Du bist Teil der Fünften Domäne geworden.«
    »Nie hier drin.« Der Mystif klopfte sich mit der Faust auf die Brust. »Nie in meinem Herzen. Mein Fehler bestand darin, mich im In Ovo zu verirren und zuzulassen, mit einer Beschwörung zur Erde gerufen zu werden. Dort blieb mir nichts anderes übrig, als mich dem menschlichen Verhalten anzupassen.«
    Gentle und Pie trugen ausgebeulte, zerknitterte Kleidung, aber bei ihnen wuchsen keine Kristalle aus dem Kopf, und ihre Haut war völlig glatt - ein Umstand, der ihnen neidische Blicke von angeberischen Poseuren einbrachte. Das kam ihnen natürlich nicht gelegen. Wenn der Autokrat von Hammeryock und Pontifex Farrow tatsächlich eine genaue Beschreibung bekommen hatte - dann gab es in L'Himby vielleicht Fahndungsblätter mit ihren Fotos. Und wenn irgendein Stutzer Zacharias und seinen Begleiter erkannte..., dann beschloß er vielleicht, die unliebsame Konkurrenz zu eliminieren, indem er einen Hinweis in das Ohr eines Soldaten flüsterte. Gentle 428

    fragte, ob es nicht klüger sei, ein Taxi zu nehmen und diskreter zu reisen. Der Mystif zögerte: Scopiques Adresse war ihm unbekannt, und sie hatten nur dann eine Chance, ihn zu finden, wenn sie zu Fuß gingen, sich von Pies Instinkt leiten ließen.
    Sie mieden die Teile der Stadt, wo es lebhafter zuging - wo die Bürger auf den Terrassen von Straßencafes saßen, um den Abend zu genießen oder wo sich Soldaten trafen. Zwar weckten die beiden Wanderer trotzdem Interesse und auch Bewunderung, aber niemand hielt sie auf. Zwanzig Minuten später wandten sie sich von der breiten Hauptstraße ab, und nach einigen Blocks wichen die modernen Bauwerke alten, vernachlässigten Häusern. Hier begegneten sie weitaus weniger Gecken und Laffen.
    »Hier kommt man sich sicherer vor«, sagte Gentle. Eine seltsame Bemerkung, wenn man bedachte: Sie gingen nun durch Straßen, die Zacharias in irgendeiner Stadt der Fünften Domäne gemieden hätte -

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