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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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die entsprechenden Worte keinen Sinn, aber dafür klangen sie melodisch. Auch der Treueeid unterlag dem Zeitdruck, und die beiden zukünftigen Ehepartner reduzierten ihn auf eine recht knappe Formulierung.
    »Wir erbitten nicht den Segen von Hapexamendios«, sagte Athanasius. »Ebensowenig geht es uns um das Wohlwollen irgendeines anderen Gottes oder göttlichen Sendbotens. Unsere Gebete gelten allein der Jungfrau Maria, auf daß sie über diese Verbindung wache und euch aufnehme in eine noch größere Verbindung, wenn die Zeit dazu kommt. Bis dahin kann ich nur ein Spiegel sein, vor dem ihr das Sakrament der Ehe empfangt.«
    Die volle Bedeutung dieser Worte verstand Gentle erst später, als er nach dem Ritual in seiner Zelle lag, neben dem Ehepartner.
    »Ich habe immer gesagt, daß ich nie heiraten würde«, flüsterte er dem Mystif zu.
    »Bedauerst du es schon?«
    »Nein. Aber es ist seltsam, verheiratet zu sein und keine Frau zu haben.«
    »Ich bin gern bereit, zu deiner Frau zu werden. Ich kann alles für dich sein. Erfinde mich einfach neu. Gib mir die Gestalt, die du dir wünschst.«
    »Wir sind nicht verheiratet, damit ich dich benutze, Pie.«
    »Das gehört dazu. Jeder von uns erfüllt Bedürfnisse. Wir sind wie... Spiegel.« Der Mystif berührte Zacharias an der Wange. »Ich werde dich benutzen, das versichere ich dir.«
    »Für was?«
    »Für alles. Trost, Streit und Wonne.«
    »Ich möchte von dir lernen.«
    »Und worum geht es dir dabei?«
    »Ich möchte lernen, wie man geistig auf Reisen geht, so wie 461

    ich es heute nachmittag erlebte. Ich möchte lernen, den Körper zu verlassen und als psychische Entität umherzustreifen.«
    »Um als Seele zu reisen, muß man sich in ein Staubkorn verwandeln«, sagte Pie und benutzte dabei einen Vergleich, der sich auch Gentle aufgedrängt hatte, als er durch N'ashaps Schädel gesaust war. »Anders ausgedrückt: in ein Gedanken-partikel, das im Sonnenschein schimmert.«
    »Läßt es sich nur während des Sonnenscheins bewerkstelligen?«
    »Nein, aber dann ist es einfacher. Alles ist einfacher, wenn die Sonne scheint.«
    »Nur dies nicht...« Gentle küßte den Mystif. »Dafür war mir immer die Nacht lieber.«
    Als er sich zuvor neben Pie ausgestreckt hatte, war er entschlossen gewesen, den Mystif in seiner wahren Gestalt zu lieben und nicht zuzulassen, daß Fantasievorstellungen zu Veränderungen führten. Durch den Schwur sich selbst gegenüber wurde Zacharias so nervös wie ein Bräutigam, dem jetzt der erste Geschlechtsverkehr seines Lebens bevorstand.
    Als er den Mystif entkleidete, mußte er gleichzeitig einen ganz persönlichen Schleier beiseite ziehen, Illusionen und Wünsche abstreifen. Und wenn das geschehen war... Was mochte er dann empfinden? Es bereitete sicher keine Probleme, von einem Partner erregt zu werden, der seinen Körper so strukturieren konnte, daß er dem erotischen Ideal entsprach.
    Aber weckte auch der Gestaltwandler selbst Lust?
    Im Halbdunkel wirke Pies Körper fast feminin: glatte Haut, sanfte Wölbungen. Aber es kam auch etwas Sehniges hinzu, das einen Kontrast zu dem allgemeinen weiblichen Eindruck bildete. Außerdem: Die Hinterbacken waren nicht breit genug, und es fehlten Brüste. Er ist nicht meine Frau, dachte Gentle, doch es fiel ihm schwer, an einen Er zu denken. Irgend etwas in ihm hätte sich gern der Vorstellung hingegeben, daß er neben jemandem wie Judith lag - eine Perspektive, die Pie 462

    keineswegs ablehnte. Mit großer Mühe gelang es ihm, dieser Versuchung zu widerstehen, sich an Fakten und Tatsachen festzuhalten. Er beklagte nun den Umstand, daß es in der Zelle nicht heller war, daß es nicht mehr Licht gab, um die Ambiguität zu vertreiben. Einige Sekunden verstrichen, bevor er die Hand zwischen Pies Beine schob, dorthin, wo er Wärme und Leben spürte. »Ich möchte dich sehen«, sagte er, und der Mystif stand sofort auf und trat zum Fenster, damit Zacharias ihn besser erkennen konnte. Gentles Herz klopfte immer schneller, doch das Blut schien seinen Unterleib überhaupt nicht zu erreichen. Es stieg ihm in den Kopf, rauschte dort, ließ sein Gesicht glühen. Plötzlich war er froh, im Schatten zu sitzen, wo man ihm das Unbehagen weniger deutlich ansah.
    Andererseits wußte er: Die Schatten verhüllten nur die äußeren Anzeichen der Nervosität - zweifellos nahm der Mystif seine Furcht wahr. Er holte tief Luft, erhob sich ebenfalls und näherte sich der rätselhaften Gestalt.
    »Warum quälst du dich?« fragte

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