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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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und so hart an die Wand stieß, daß ihm der Aufprall die Luft aus der Kehle preßte. Gentle sog den fremden Atem in sich hinein, und sofort entstand ein Verlangen nach mehr, das der Mystif ohne Worte verstand: Er preßte seinen Atem in die Lungen des Mannes, beatmete ihn wie jemand, der gerade vor dem Ertrinken gerettet worden war. Unterdessen pumpten Gentles Lenden, als er noch tiefer in das Wesen hineinstieß.
    Flüssigkeit rann über die Innenseiten seiner Schenkel. Erneut empfing er einen Atemhauch, dann noch einen. Er genoß sie, sah in die Wärme von Pies Gesicht und nahm seinen Odem, während er selbst den Penis gab. Es war ein Austausch, der beide Aspekte in sich vereinte: Beide gaben sich hin und beide wurden genommen. Vielleicht handelte es sich dabei um einen Hinweis auf den dritten Faktor, auf die Vereinigung von Personen mit veränderlichem Geschlecht - auf eine sexuelle Alternative, die nur möglich wurde, wenn Gentle seinen Schwanz verlor. Doch als er nun im Geschlecht des Mystifs verweilte, erschien es ihm absurd, den Penis gegen etwas anderes einzutauschen. Dadurch eröffneten sich ihm bestimmt keine völlig neuen Empfindungen, nur Variationen des Bekannten.
    Er schloß die Augen und fürchtete nicht mehr, Pie'oh'pah durch Fantasie und Imagination zu ersetzen. Seine einzige Sorge galt dem Entzücken im Gesicht des Wesens: Wenn er es zu lange betrachtete, bestand die Gefahr, daß er vollständig die Kontrolle über sich verlor. Vor seinem inneren Auge zeichnete sich ein noch eindrucksvolleres Bild ab: Mensch und Mystif vereint, Partner im Partner; Atem und Penis schwollen im anderen Körper an, bis sie nicht noch mehr wachsen konnten.
    Gentle wollte Pie sagen, daß er nicht imstande war, den Höhepunkt noch länger hinauszuschieben, doch der Mystif schien es bereits gespürt zu haben. Er griff nach dem Haar des 466

    Mannes und zog dessen Kopf nach hinten. Zacharias fühlte ein kurzes Stechen, das ihn noch mehr erregte, und hörte ein leises Schluchzen, das sowohl von ihm als auch von dem Wesen vor ihm stammte. Er hob die Lider, um Pie'oh'pahs Gesicht zu sehen, wenn dessen Orgasmus kam, und innerhalb eines Sekundenbruchteils metamorphierten die Züge, wurden zu einem Spiegel. Er sah seine eigene Miene, und die Hände strichen über den eigenen Körper. Dieses Trugbild kühlte ihn keineswegs ab. Ganz im Gegenteil. Bevor sich der Spiegel wieder in weiche Haut verwandelte - bevor kein Glas mehr glänzte, sondern Schweiß im sanften Gesicht des Mystifs -, erreichte Zacharias den Punkt, von dem es kein Zurück mehr gab. Er sah, wie sich seine Züge mit denen Pies vermischten, als der Höhepunkt eine Flut aus ihm herauspreßte. Ein kurzes, euphorisches Delirium... Und ihm folgte ein Gefühl des Verlustes, an das sich Gentle noch immer nicht gewöhnt hatte.
    Der Mystif lachte fast sofort, und Zacharias blinzelte verwirrt.
    »Was findest du so komisch?« fragte er schließlich.
    »Die Stille«, sagte Pie. Er schwieg und forderte Gentle mit einer stummen Geste zum Lauschen auf.
    Stunden- und tagelang hatte Gentle in dieser Zelle gelegen, ohne die Möglichkeit, auch nur leise zu stöhnen, doch die jetzige Stille erschien ihm noch viel profunder. Der ganze Gebäudekomplex horchte: vom tiefen Keller, wo Pater Athanasius an neue Dornenkronen dachte, bis hin zu N'ashaps Büro, in dem ein Teppich lag, der unauslöschliche Blutspuren aufwies. Alle Gefangenen, Patienten und Wächter hatten die Vereinigung gehört.
    »Was für eine Stille...«, hauchte der Mystif.
    Unmittelbar darauf erklang ein Schrei in einer der anderen Zellen. Jemand heulte Niedergeschlagenheit und Verzweiflung aus sich heraus, und seine Stimme ertönte fast bis zum Morgen.
    Sie schien die grauen Mauern von der Freude zu reinigen, die 467

    sie für kurze Zeit befleckt hatte.
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KAPITEL 27
l
    Judith hätte die Namen von zehn oder mehr Männern nennen können, die sie so sehr geliebt hatten - und ihr so verfallen gewesen waren -, daß sie nicht zögerten, jeden Preis für ihre Gunst zu bezahlen. In einigen Fällen nutzte sie solche Großzügigkeit aus. Ihr Wünsche mochten dann und wann extravagant gewesen sein, aber sie verloren ihre Bedeutung im Vergleich mit dem Geschenk, um das sie Oscar Godolphin bat: Ich möchte, daß du mir Yzordderrex zeigst. Diese Worte projizierten Beklommenheit in Oscars Gesicht. Natürlich lehnte er nicht direkt ab - damit hätte er das Band der Zuneigung zwischen ihnen zerrissen, und ein solcher Verlust wäre für

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